«Basel ist für ein Zentrum relativ attraktiv»

21.10.2021

Der Ökonom Kurt Schmidheiny hat für die Handelskammer die Steuerbelastung in Basel-Stadt mit der Nordwestschweiz und dem umliegenden Ausland verglichen. Im Interview ordnet er die Ergebnisse ein. Er zeigt sich besorgt um den unter Druck stehenden Mittelstand.

Interview: Luca Urgese, Leiter Finanzen und Steuern Handelskammer beider Basel

Sie haben für das Themendossier zu den Kantonsfinanzen Basel-Stadt die Steuerbelastung in der Region untersucht. Was würden Sie als Ihre wichtigste Erkenntnis bezeichnen?

Mit der Steuerreform von 2008 und der Einführung einer Flat-Rate-Tax ist Basel im Vergleich zum direkten Umland viel attraktiver geworden, insbesondere bei den sehr hohen Einkommen. Das war ein kluger Schachzug. Dies gilt allerdings nur im regionalen Vergleich. Verglichen mit der ganzen Schweiz ist die Nordwestschweiz weiterhin steuerlich eher unattraktiv.

Mit Annahme der Topverdiener-Initiative hat Basel-Stadt den Trumpf bei den höchsten Einkommen eingebüsst. Das könnte dazu führen, dass Steuersubstrat verloren geht. Im Moment wissen wir das aber noch nicht. Die Position der Stadt hat sich aber mit dieser Initiative verschlechtert. Im grossen Ganzen kann man dennoch sagen: Die Stadt Basel ist steuerlich für eine Zentrumsstadt relativ attraktiv im Vergleich zum Umland.

Der Ökonom Kurt Schmidheiny hat für die Handelskammer die Steuerbelastung in Basel-Stadt mit der Nordwestschweiz und dem umliegenden Ausland verglichen. Im Interview ordnet er die Ergebnisse ein. Er zeigt sich besorgt um den unter Druck stehenden Mittelstand.

War das für Sie überraschend oder haben Sie das erwartet?

Wie erwartet konnten wir zeigen, dass Basel-Stadt seit der Steuerreform 2008 für alle Einkommen ein steuerlich attraktiver Wohnort in der Nordwestschweiz ist. Es war auch nicht unerwartet, dass die Topverdiener-Initiative diese Attraktivität für die obersten Einkommen mindern würde. Unerwartet fielen hingegen die Vergleiche mit Frankreich und Deutschland aus. Das war etwas, was wir im Vorfeld nur schwer abschätzen konnten. Im Dreiländereck ist das aber ein relevanter Vergleich.

Frankreich hat für mittlere Einkommen ein sehr attraktives Angebot. Bei Deutschland muss man das differenziert betrachten. Deutschland hat sehr hohe Einkommenssteuern, weil die Progression sehr früh beginnt. Bereits tiefe Einkommen werden recht stark besteuert. Unsere Studie hat gezeigt, dass man auch die Vermögenssteuer, die es in Deutschland so nicht gibt, in die Rechnung mit einbeziehen muss, gerade bei Personen mit hohem Einkommen, die in der Regel auch ein hohes Vermögen haben.

Ändert sich denn das Bild, wenn man auch die Vermögenssteuern mit einbezieht?

Basel hat im schweizweiten Vergleich eine der höchsten Vermögenssteuern. Wir haben in der Studie deshalb die Steuerbelastung anhand von Beispielen genauer angeschaut. Eines ist ein Topverdiener-Ehepaar mit einer halben Million Franken Einkommen und einem Vermögen von 10 Millionen Franken. Die Vermögenssteuer in Basel-Stadt führt tatsächlich dazu, dass die Steuerbelastung für dieses Ehepaar in Basel höher ist als in Deutschland und Frankreich. Der Vergleich ist aber unvollständig. In Deutschland zahlt man keine Vermögenssteuer, dafür werden neben Zinsen und Dividenden auch Kapitalgewinne besteuert während in der Schweiz Kapitalgewinne steuerfrei sind. Bei Berücksichtigung von in der Schweiz steuerfreien Kapitalgewinnen ist die Steuerbelastung für das vermögende Ehepaar in der Stadt Basel tiefer als in Deutschland.

Was bedeutet die überdurchschnittlich hohe Vermögenssteuer im schweizweiten Vergleich?

Unser Vergleich zeigt, dass es insbesondere in Gemeinden in der Innenschweiz, wie beispielsweise Zug, Standorte gibt, die deutlich günstiger sind. Dagegen kann die Nordwestschweiz nicht konkurrieren. Aber innerhalb der Region Nordwestschweiz, inklusive Frankreich und Deutschland, ist Basel eine echte Option, auch für höhere Einkommen und Vermögen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, wieso Basel, obwohl es sehr finanzstark ist, national nicht besser abschneidet?

Städte haben sowohl in der Schweiz als auch international im Vergleich zum Umland höhere Steuern. Das ist nicht ungewöhnlich und hat vor allem drei Gründe: Erstens ist eine Stadt als Zentrum einer grösseren Wirtschaftsregion aufgrund ihrer Zentrumslage attraktiv. Man hat sehr schnell Zugang zu attraktiven Angeboten wie Kultur, Einkaufsmöglichkeiten etc. Städte sind spannende Orte, man ist gerne dort. Deshalb kann man sich höhere Steuern leisten, ohne dass deswegen alle abwandern. Das gilt auch für Firmen. Firmen möchten im Zentrum sein, im «Center of Gravity». Ein zweiter Aspekt dürfte die Politik sein. Städte haben in der Regel einen grösseren Bevölkerungsanteil, der eher eine linke Politik bevorzugt. Linke Politik heisst mehr Umverteilung, Umverteilung heisst höhere Steuern, also mehr Geld einsammeln und verteilen. Das finden wir beispielsweise auch in Zürich. Drittens wissen wir aus der ökonomischen Theorie, dass es kleine Orte grundsätzlich einfacher haben, sich als Steueroasen zu spezialisieren. Wenn kleine Orte ihre Steuersätze senken, können sie im Verhältnis zur ihrer Grösse viel mehr Steuersubstrat anziehen als grosse Orte. Deshalb beobachten wir viele Kernstädte mit hohen Steuern, die von einem Speckgürtel aus Tiefsteuergemeinden umringt werden.

Dass die Stadt Basel die umliegenden Landgemeinden mit tiefen Steuersätzen konkurrenziert ist also eine Ausnahme von der Regel. Das liegt an der speziellen Situation mit den zwei grossen Pharmafirmen, deren grosses Steuersubstrat der Stadt einen finanziellen Spielraum gibt, wie man ihn an sehr wenigen Orten sieht. Jetzt stellt sich die Frage, ob man das noch weiter ausnutzen will.

Das ist eine politisch in Basel hochumstrittene Frage!

In der Tat. (lacht)

Sie haben das Stichwort Steueroase genannt. Ein Jahr nach Annahme der Topverdiener-Initiative titelte das Magazin tribune im März 2020: „Steuerhölle Basel-Stadt". Können Sie das nachvollziehen?

Braucht man einen solchen Begriff, verfolgt man das Ziel, die Steuern zu senken. Das ist ein gesellschaftlicher Diskurs, zu dem ich als Wissenschaftler keine Stellung nehmen möchte. Wir müssen jedoch aufpassen, dass wir aus dem politischen Ziel heraus, Steuern zu senken, die Stadt nicht schlechter reden als sie ist. Die Stadt Basel ist ein attraktiver Standort. Es bestünde aber noch Spielraum, die Steuern etwas zu senken.

Die Steuern sind zwar für die höchsten Einkommen seit der Topverdiener-Initiative etwas höher als in den steuergünstigsten Landgemeinden. Aber je nach Situation und Präferenzen ist das nicht entscheidend. Gerade wer über viel Einkommen verfügt möchte dort leben, wo das beste Gesamtangebot ist.

Ich glaube nach wie vor, dass die Schweiz und auch Basel-Stadt attraktiv sind. Für jemanden, der sich in der Region Nordwestschweiz niederlassen will, ist Basel als Zentrum eine echte Option.

Wir beschäftigen uns llaufend mit der Frage, was einen attraktiven Standort ausmacht. Wie Sie richtig sagen, sind Steuern nur ein Teil davon und es gibt noch andere relevante Aspekte. Uns treibt dennoch die Frage um, ob es bei den Steuern einen Punkt gibt, ab dem die Steuerbelastung auch in einer Gesamtbeurteilung zu hoch wird und dies zu einem Wegzug von guten Steuerzahlern führen kann. Das kann natürlich keine absolute Zahl sein. Aber gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die als Indikator dafür dienen können, ab wann zu hohe Steuern negative wirtschaftliche Effekte bewirken?

Wir wissen, dass Steuern einen Einfluss auf die Mobilität haben. Wenn Sie die Steuern an einem Ort erhöhen, führt dies dazu, dass besserverdienende Leute eher nicht hinziehen oder gar wegziehen. Dafür gibt es empirische Evidenz.
Der Tipping Point, also die Wegzugsschwelle, hängt immer vom Vergleich mit den umliegenden Gebieten ab. Das ist für jeden Ort anders, deshalb gibt es keinen absoluten Punkt. Man muss zudem in Betracht ziehen: Eine Steueroase muss an der Spitze der Rangliste mitspielen. Es reicht nicht, tiefe Steuern zu haben. Sie müssen zu den günstigsten Standorten gehören. Leute, die sehr mobil sind, schauen sich die Liste an und entscheiden entsprechend.
Eine Stadt ist eigentlich schon sehr gut positioniert, wenn sie sich im Mittelfeld befindet. Sie sollte nicht zu weit vom Mittel weg sein.

Dann geht es also einfach darum, nicht negativ aufzufallen?

Das ist so. Man muss aber laufend beobachten, ob man im Vergleich zum Umfeld nicht zurückfällt. Die Topverdiener-Initiative war da nicht hilfreich.

In unserem Themendossier ziehen wir die Schlussfolgerung, die Steuerbelastung für Gutverdienende und Haushalte mit hohem Einkommen und Vermögen müsste sinken, eben weil Basel dort klar schlechter abschneidet als das Umland. Kritiker sagen, das sei angesichts der gegenwärtigen Einkommens- und Vermögensverteilung nicht angebracht. Sie befassen sich auch mit Verteilungsfragen. Wie würden Sie diese Kritik einordnen?

Welche Einkommensgruppen besonders entlastet werden sollten ist eine schwierige Frage. Wenn wir den Steuertarif in Basel anschauen, wird der Mittelstand relativ stark belastet. Wir haben viele Haushalte, die gar keine Steuern zahlen, danach steigen die Steuern stark an. Im Vergleich zu anderen Orten in der Schweiz hat Basel eine der höchsten Belastungen des Mittelstandes, und das in einer Zeit, in der wir uns Sorgen machen müssen um den Mittelstand.

Weshalb müssen wir uns Sorgen machen?

Ein Grund dafür ist die technologische Entwicklung. Viele Mittelstandsberufe werden automatisiert. Dies setzt den Mittelstand unter Druck. Der Mittelstand umfasst aber sehr viele Leute und ist politisch eine ganz wichtige Gruppe für die Stabilität der Gesellschaft.
Wir müssten also aus einer Verteilungssicht für den Mittelstand Steuern senken, weil der aktuelle Basler Tarif diesen stark belastet. Wir müssten jedoch bei den oberen Einkommen senken, weil diese Personen sehr mobil sind und wir im Wettbewerb zu anderen Wohnorten stehen. Das ist ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt.

Kurt Schidheiny und Luca Urgese «Der Mittelstand umfasst sehr viele Leute und ist politisch eine ganz wichtige Gruppe für die Stabilität in der Gesellschaft.»

Wir haben Deutschland und Frankreich nun schon mehrfach erwähnt. Wieso ist der Blick über die Landesgrenze bei einem Steuervergleich eigentlich sinnvoll?

Wir liegen direkt an der Grenze und sind eine Region, die über die Grenze hinweg wirtschaftlich sehr integriert ist. Wenn Sie das Wirtschaftsgebiet ökonomisch anhand der Grenzgänger und der Warenflüsse betrachten, kommt man auf ein Grossbasel, mit Teilen von Frankreich und Deutschland, die ganz natürlich dazugehören. Inzwischen gibt es europäische Statistiken, die das explizit so festhalten und hier im Dreiländereck ein Millionen-Basel sehen. Das heisst, der Wirtschaftsstandort ist grenzüberschreitend.

Es gibt deshalb viele Leute, die auch ihren Standortentscheid grenzüberschreitend fällen. Hier an der Fakultät sind z.B. mehrere deutsche Professorinnen und Professoren angestellt. Sie stellen sich die Frage, ob sie nach Basel, ins Baselbiet oder nach Deutschland ziehen sollen. Einige haben sich für eine deutsche Gemeinde entschieden, weil sie dort den Heimatbezug haben und ihre Kinder in das deutsche Schulsystem schicken können. Es gibt aber auch solche, die in die Schweiz gezogen sind. Es wird also tatsächlich ein Standortvergleich gemacht und dafür unter anderem auch die Steuerbelastung durchgerechnet.

Gilt das auch für das benachbarte Frankreich?

Ich glaube, bei Frankreich spielt das noch weniger eine Rolle, weil das System mit den Schulen, der Krankenkasse usw. ganz anders ist. Zudem besteht natürlich die Sprachbarriere. Aber beispielsweise für Singles oder Doppelverdiener ist auch Frankreich interessant. Die Immobilienpreise sind günstig, ganz im Gegensatz zu Lörrach. Auf einer Deutschlandkarte sieht das auf den ersten Blick ganz absurd aus: Lörrach ist ganz am Rand und gehört trotzdem zu den teuersten Gebieten in Deutschland. In den benachbarten französischen Gemeinden ist das nicht der Fall.
So lange wir die Personenfreizügigkeit haben, gibt es wenig Gründe, einen Standort auszuschliessen. Die Menschen haben also die Wahl. Deshalb ist es wichtig, das Dreiländereck als einen Wirtschaftsraum zu verstehen.

Würden wir auf die Strasse gehen und ein paar Leute fragen, würden wohl viele Deutschland und Frankreich dennoch als Hochsteuerländer bezeichnen. Dies obwohl beide Länder in Ihrem Vergleich durchaus gut abschneiden. Haben Sie eine Erklärung für diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität?

Das ist eine gute Frage. Über Frankreich wissen wir wahrscheinlich einfach zu wenig. Wir sehen die Diskussionen in den Medien über Grossverdiener und Schauspieler, die sich wegen der hohen Steuern anderswo niederlassen. Wir wissen aber sehr wenig darüber, wie der Mittelstand belastet wird. Frankreich hat ein sehr familienfreundliches Besteuerungssystem, welches den Mittelstand tiefer belastet als das schweizerische. Die Nachteile für doppelverdienende und verheiratete Paare, wie sie die Schweiz teilweise kennt, hat man dort nicht. Allerdings geht die Progression ab einem bestimmten Punkt ganz steil hoch.

Ganz anders ist die Situation in Deutschland. Dort steigen die Steuersätze schon sehr früh an. Man hat zudem die kalte Progression nie ausgeglichen. Die Einkommenssteuern in der Schweiz sind tiefer. Allerdings wird die Vermögenssteuer dabei nicht berücksichtigt. Man vergleicht das selten in Kombination miteinander. Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Argument nicht medientauglich ist, weil man halt eben nur betroffen ist, wenn man vermögend ist. Das sind nicht so viele Menschen, sie sind aber sehr relevant für das Steuersubstrat.

In den entsprechenden Beratungs- und Anwaltsbüros ist das aber bestimmt keine Überraschung. Die wissen sehr wohl, wie die Situation wirklich ist und welcher Standort der Beste für ihre Klienten ist.

Vielen Dank für Gespräch! 

Themendossier Kantonsfinanzen Basel-Stadt

Prof. Dr. Kurt Schmidheiny, geboren im St. Galler Rheintal, lehrt an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Im Rahmen seiner Forschung hat er sich im aktuellen Themendossier „Kantonsfinanzen Basel-Stadt" zur Steuerbelastung des Kantons geäussert.

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