Nachhaltige Lieferketten wirken

08.10.2025

Nachhaltigkeit ist längst kein Schlagwort mehr – aber gehen nachhaltige Lieferketten ohne Bürokratie-Overload überhaupt? Prof. Philipp Aerni, Podiumsteilnehmer an unserem Fachkongress «Radar Aussenwirtschaft» erklärt, warum Wirkung wichtiger ist als Symbolik, wie Unternehmen pragmatisch handeln und wo Chancen liegen. 

Wie wichtig sind Innovation und Unternehmertum für nachhaltige Entwicklung?  

Der heutige Nachhaltigkeitsdiskurs geht auf den Bericht «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome von 1972 zurück, der das Wirtschaftswachstum als Treiber der Umweltkrise identifizierte – ein Framing, das bis heute nachwirkt. Das ist problematisch, denn die Menschheit bewältigte Sozial- und Umweltkrisen in der Geschichte primär durch Innovationen. Die Schweiz war im 19. Jahrhundert ein Paradebeispiel für günstige Rahmenbedingungen, die einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel durch Innovation und Unternehmertum ermöglicht haben, von dem wir heute noch profitieren. 

Welchen Beitrag kann die Wirtschaft leisten? 

Die UNO-Nachhaltigkeitsziele erkennen das Potenzial einer innovativen Wirtschaft für nachhaltige Lösungen und fordern in diversen Zielen institutionelle Rahmenbedingungen, die diese ermöglichen. Unser gegenwärtiges Nachhaltigkeitsverständnis ist jedoch nicht auf Wandel durch Innovation ausgerichtet, sondern primär auf Schutz und Bewahrung. Das führt zu immer mehr Regulierungsanforderungen, die häufig die Mittel verschlingen, die eine Firma ansonsten in Innovation investieren könnte. 

Wie können Unternehmen glaubwürdig sein, ohne in Greenwashing oder ideologische Fallen zu geraten? 

Die Konzernverantwortungsinitiative zeigt: Wirtschaftsführern gelingt es oft nicht mehr überzeugend aufzuzeigen, warum Menschenrechte und Umweltschutz im Eigeninteresse des Unternehmens sind. Stattdessen verweisen Unternehmen häufig auf gute Taten und Nachhaltigkeitsinitiativen in Zusammenarbeit mit Umweltorganisationen. Sie sollen den Eindruck zu erwecken, dass das Erwirtschaften von Gewinnen nicht im Vordergrund steht.  Das widerspricht jedoch allzu oft den konkreten Vorgaben an die Geschäftsleitung und führt zu einer Kluft zwischen effektivem wirtschaftlichem Handeln, also der Kernkompetenz eines Unternehmens, und der Nachhaltigkeitsrhetorik, wie sie häufig von internen Nachhaltigkeitsteams und ihren externen Beratern praktiziert wird. Das erweckt dann häufig den Eindruck, dass Nachhaltigkeit an eine interne Non-for-profit-Einheit delegiert wurde, die aber letztendlich dennoch von Firmengewinnen finanziert werden muss.  

SAVE THE DATE - Fachkongress «Radar Aussenwirtschaft» 
Dienstag, 11. November, 9.00 bis 13.30 Uhr

Wie können Unternehmen ihre Lieferketten in Zeiten von Handelskonflikten widerstandsfähiger machen? Wie lassen sich internationale Marktzugänge trotz Unsicherheiten gezielt nutzen? Und wie kann Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil werden? Diese Fragen diskutieren wir an unserem Fachkongress «Radar Aussenwirtschaft». Erfahren Sie, wie Freihandelsabkommen, nachhaltige Supply Chains und Risikomanagement Ihre Resilienz stärken. 

Zu Details und Anmeldung

Wie gelingt ein das Lieferkettenmonitoring? 

Ein nachhaltiges und resilientes Lieferkettenmonitoring sollte auf Transparenz, Rückverfolgbarkeit und der Erfüllung der erforderlichen Sozial- und Umweltstandards basieren. Dabei tendieren Firmen aber einmal mehr dazu, die Datenerfassung und -analyse an private Anbieter mit eigenem Geschäftsmodell zu delegieren, das aber häufig bedingt, dass die Qualität der Datengrundlage wie auch die Bewertungsmethode der Nachhaltigkeit nicht transparent gemacht werden. Die daraus resultierenden Interessenskonflikte zeigen sich exemplarisch in der Tatsache, dass die fast alle Anbieter solcher Dienstleistungen das Geld nicht mit Bewertung, sondern mit Beratung und Verifikation verdienen. Das Problem ist bisher nicht auf dem Radar von Geschäftsleitungen, denn sie gehen davon aus, dass ihre Nachhaltigkeitsteams die Sache im Griff haben. Es sollte jedoch zu denken geben, dass jeder professionelle Ratinganbieter von einer anderen Nachhaltigkeitsdefinition ausgeht, weshalb die Bewertungen enorm abweichen können. Jeder sucht sich das Nachhaltigkeitsrating aus, das zu ihm «passt». Das kann potenziell zu einem «Nachhaltigkeitsbubble» führen, der die Resilienz einer Firma langfristig schwächt. Es lohnt sich daher Greenwashing-Risiken genauer unter die Lupe zu nehmen – und zwar bevor diese strikt reguliert werden. 

Wie vermeiden Unternehmen, sich in einem teuren Zertifizierungsdschungel zu verlieren? 

Wir befinden uns derzeit in einer Konsolidierungsphase bei Nachhaltigkeitszertifikaten. Davon scheinen insbesondere die am Markt dominierenden Anbieter zu profitieren. Fast alle Grossfirmen haben von ihnen teure und aufwändige Zertifizierungen erworben und fordern diese nun auch zunehmend von ihren Lieferanten ein. Die wenigen weltweit tätigen Rating- und Zertifizierungsanbieter bieten Grossfirmen ein bequemes und umfassendes Lieferkettenmonitoring. Doch selbst wenn es neuerdings schlankere Versionen für KMU gibt, so bleibt der Zeit- und Kostenaufwand beträchtlich. Ausserdem haben diese grossen Anbieter keines der oben erwähnten Probleme bei der Nachhaltigkeitsbewertung wirklich gelöst. 

Was war ihre Motivation esg2go mitzuentwickeln – ein Tool, das KMU einen einfachen Zugang zu ESG-Ratings und Reportings ermöglicht? 

Wir haben im Jahr 2019 im Auftrag des Bundesamts für Umwelt eine Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeitsbewertungssysteme durchgeführt und dabei geprüft, inwieweit diese KMU-tauglich sind. Das Ergebnis: Die meisten sind zu bürokratisch und zu teuer und haben zugleich ein Transparenzproblem. Das hat uns bewogen zusammen mit Swisscleantech und diversen Sponsoren in der Finanzwirtschaft sowie im stetigen Austausch mit den KMU ein praktikables und zugleich glaubwürdiges Nachhaltigkeitsrating zu entwickeln, das dann im Jahr 2022 erfolgreich lanciert und im Jahr 2023 wissenschaftlich publiziert wurde. Das Tool basiert auf einem kalibrierten Benchmarking, das die Mess- und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistung unter Peers ermöglicht. Die Datenqualität ist sehr hoch, denn die KMU geben die Rohdaten selbst ein, wobei die Verifikation von unabhängigen Akteuren durchgeführt wird. Zudem kann aus dem Ratingreport semiautomatisiert eine Nachhaltigkeits- und Klimaberichterstattung generiert werden, die regulierungskonform ist. Neu bietet esg2go auch KI-gesteuerte Beratung, die KMU aufzeigt, wo sie sich kosteneffektiv verbessern können und für welche Bund und Kantonen finanzielle Unterstützung bieten.  

Ist die Ausweitung der Schweizer Nachhaltigkeits-Berichterstattungspflicht –analog zur EU – der richtige Kurs für die Schweiz? 

Auch der Bundesrat sollte Massnahmen gegen ausufernde Bürokratie, Greenwashing und Intransparenz im Nachhaltigkeitsbewertungsgeschäft ergreifen, analog zur EU. Diese hat im Sommer 2025 unter anderem ein Konsultationsverfahren zur Regulierung von Nachhaltigkeitsratingagenturen durch die Europäische Marktaufsichtsbehörde ESMA abgeschlossen. Es geht konkret um technische Regulierungsstandards für die ESG-Rating-Verordnung – mit Fokus auf Zulassung, Interessenkonflikte und Offenlegungspflichten für ESG-Rating-Anbieter. 

Über Philipp Aerni 

Prof. Dr. Philipp Aerni ist Direktor des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS) und auch Professor for Sustainability and Impact Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (HSW-FR). Er studierte Geographie, Umweltwissenschaften und Ökonomie an der Universität Zürich und doktorierte in Agrarökonomie an der ETH Zürich. Philipp Aerni ist zudem Lehrbeauftragter an der ETH Zürich und der Universität Zürich. Neben zahlreichen anderen Engagements ist er Mitglied der Jury des Swiss Family Business Award, des Forums Genforschung (SCNAT) und von Liberethica - einer Plattform für Ethik, Wirtschaft und Religion. Als interdisziplinärer Sozialwissenschaftler interessiert er sich für die Rolle von Unternehmertum und Innovation als potenzielle Triebkräfte für einen integrativen und nachhaltigen Wandel. 

Bild von Prof. Philipp Aerni Nachhaltigkeitsexperte Prof. Philipp Aerni ist Podiumsteilnehmer an unserem Fachkongress «Radar Aussenwirtschaft» am 11. November.

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