«Diese Initiative war völlig unnötig»

07.01.2020

Martin Dätwyler im Interview über die Herausforderungen und Chancen unserer Wirtschaftsregion im neuen Jahr. Das Interview wurde von Kurt Tschan geführt und in der Basler Zeitung publiziert.

Die Schweizer Börse befindet sich auf einem Allzeithoch. Geht es 2020 in diesem Tempo weiter?
Die starke Börse ist ein Indiz für die robuste Wirtschaftslage in der Schweiz, aber auch in der ­Region Basel. Dies belegen auch Umfragen der Handelskammer und der Schweizerischen Nationalbank. Einen Blick in die Kristallkugel wage ich aber nicht. Es gibt Unwägbarkeiten. Ich denke dabei an den Handelskrieg zwischen den USA und China, der noch nicht beigelegt ist, aber auch an die Beziehungen zu Europa oder den Wechselkurs.

Was bedeutet es, wenn Firmen wie Roche oder Novartis plötzlich viel mehr Wert haben als noch vor einem Jahr?
Das ist erfreulich für die Anleger, aber auch für die Region: In erster Linie sind dadurch Arbeitsplätze gesichert. Es werden Investitionen getätigt, und die Wertschöpfung der ganzen Region steigt. Im Jahr 2017 resultierte ein BIP-Zuwachs von fast sieben Prozent. Das ist Weltklasse. Letztlich bedeuten Life Sciences in Basel Wohlstandssicherung. Und dazu müssen wir Sorge tragen.

Wie fit ist die Wirtschaft?
Im nationalen und internationalen Vergleich befindet sie sich nach wie vor auf einem hohen und stabilen Niveau, obwohl sich die Weltkonjunktur abkühlt. Über alle Branchen gesehen, sprechen über 80 Prozent der von uns befragten Unternehmen in den beiden Basel entweder von einem guten oder einem befriedigenden Geschäftsgang.

Darf von einem Stabilisierungsfaktor Pharmabranche gesprochen werden?
Die Life Sciences wirken tatsächlich stabilisierend auf die Gesamtwirtschaft der Region Basel. Die Pharmabranche zeigt sich nahezu unbeeindruckt von den aktuellen geopolitischen Herausforderungen. Dieser Umstand ist einerseits der Binsenwahrheit geschuldet, dass der Bedarf an Medikamenten keinen konjunkturellen Schwankungen unterliegt. Andererseits sind Grosskonzerne, die Produktionsstandorte auf der ganzen Welt haben, von Handelshemmnissen weniger betroffen. Auch der Brexit wird sich auf die Entwicklung der Pharmabranche nicht entscheidend auswirken.

Löst der gute Formstand der regionalen Wirtschaft auch höhere Investitionen aus?
Ja. In und um Basel wird weiterhin kräftig investiert. Ein Drittel der von uns befragten Unternehmen will seine Investitionstätigkeit im kommenden Halbjahr erhöhen. Bei jeder zweiten Firma bleiben die Investitionen gleich hoch. Wir dürfen also von stabilen Voraussetzungen ausgehen. Ich bin vorsichtig optimistisch.

Bedeutet diese Zufriedenheit, dass in und um Basel auch neue Jobs entstehen?
Auch hier verzeichnen wir ein Plus. Allerdings liegt es tiefer als in anderen Wirtschaftsräumen. Ein Blick auf den Beschäftigungsindex zeigt, dass zwischen 2011 und 2017 in den beiden Basel netto rund 6000 neue Vollzeitstellen geschaffen wurden. Das entspricht einem Plus von zwei Prozent. In Zürich-Zug waren es sechs Prozent, in der Westschweiz sogar sieben Prozent.

Gerade bei der Wertschöpfung zeigt sich, dass eine hohe Zunahme noch kein Garant für massenhaft neue Jobs ist.
Tatsächlich wächst die Bruttowertschöpfung der Life Sciences in einem beeindruckenden Mass. Jeder zweite Franken wird in den beiden Basel sowie im angrenzenden Fricktal und Schwarzbubenland in diesem Sektor erzielt. 2016 waren es 20,2 Milliarden Franken. Zürich und Zug haben damals mit 5,1 Milliarden nur rund ein Viertel der Wertschöpfung von Basel erzielt. Eine deutlich höhere Wertschöpfung ist aber nicht gleichzusetzen mit sehr vielen, sondern vor allem qualifizierten Stellen. Insbesondere die Zulieferer der Life Sciences profitieren von dieser Entwicklung aber weiterhin in einem hohen Masse. 2018 stammten 70,1 Prozent aller Exporte in den vier Nordwestschweizer Kantonen von der Chemisch-Pharmazeutischen Industrie. Auf Platz zwei lag die Maschinen- und Elektronikindustrie mit 6,8 Prozent.

Wie sieht diese Wertschöpfung im Vergleich zu Südbaden und dem Elsass aus?
Sehr vorteilhaft. Mit Blick auf das Jahr 2017 lässt sich etwa sagen, dass die Bruttowertschöpfung im Haut Rhin 1,9 Prozent betrug, im Landkreis Lörrach sogar minus 1,3 Prozent. Diesen Werten stehen 3,6 Prozent in Baselland und 6,9 Prozent in Basel-Stadt gegenüber. Das ist schweizweit ein klarer Spitzenwert. In Zürich lag die Wachstumsdynamik mit 3,8 Prozent nur minim über jener des Baselbiets.

Aus Basel stammen über 40 Prozent der Schweizer Exporte. Profitiert von dieser Entwicklung das ganze Land?
Basel ist ein Schweizer Exportmotor. Wichtigster Handelspartner bleibt Deutschland. 2018 haben die vier Nordwestschweizer Kantone Güter und Waren im Wert von 16,6 Milliarden Franken nach Deutschland exportiert. In die USA waren es sogar 20 Milliarden. Zum Vergleich: Die Exporte nach China betrugen 4,8 Milliarden.

Wie haben die Basler Konzerne auf die Einführung einer Reichtumssteuer reagiert?
Wenig erfreut. Diese Initiative war völlig unnötig. Sie wird Spuren hinterlassen. Wohlstand darf uns nicht blind und übermütig machen. Ich füge auch selbstkritisch an, dass wir Wirtschaftsverbände diese Initiative der Juso unterschätzt und im Abstimmungskampf zu wenig unternommen haben, sie zu bekämpfen: wie auch die Regierung und die Parteien. Bereits heute liegt die effektive Steuerbelastung von Hochqualifizierten in den beiden Basel über dem schweizerischen Durchschnitt. 2017 betrug sie schweizweit 32,1 Prozent, in ­Basel 32,3 Prozent, in Baselland sogar 35,4 Prozent. Der Abstand zum Spitzenreiter Zug mit 23 Prozent wird jetzt noch grösser. In Singapur lag die effektive Steuerbelastung von Hochqualifizierten 2017 bei 9,8 Prozent. Für die Ansiedlung neuer Unternehmen ergeben sich Nachteile.

Life Sciences machen nach Ansicht von HKBB-Direktor Martin Dätwyler Basel zum Schweizer Exportmotor. Foto: Florian Bärtschiger Life Sciences machen nach Ansicht von HKBB-Direktor Martin Dätwyler Basel zum Schweizer Exportmotor. Foto: Florian Bärtschiger

Wichtige Infrastrukturprojekte harzen. Steht Basel bald still?
Das hoffe ich doch nicht. Fest steht, dass wir uns mit Grossprojekten schwertun. In der Planung sind wir stark. Planungen gibt es viele und immer mehr. Doch bei der Projektierung harzt es bereits, und bei der Umsetzung sind wir viel zu langsam. Wir müssen zwingend die Dynamik zurückgewinnen. Beim Bau der S-Bahn müssen mehr personelle Ressourcen eingesetzt werden, damit es vorangeht. Beim Anschluss des Entwicklungsgebiets Bachgraben muss es gelingen, das komplexe Zusammenspiel Strasse und Tram zu entflechten. Die Kombination führt mit Sicherheit zu Verzögerungen. Warum soll es für die Erschliessung durch den ÖV keine Alternative zum Tram geben?

Gateway Basel Nord stockt auf unbestimmte Zeit. Geben Sie dem Projekt noch Chancen?
Auf jeden Fall, aber es ist mühsam. Immer neue Verfahren in den Bereichen Planung, Finanzierung und Wettbewerb verzögern den Bau des trimodalen Containerterminals, ein baulich an sich einfaches Projekt. Das Umfeld ist extrem schwierig. Auch Natur- und Denkmalschutz tragen dazu bei, dass immer neue Zusatzschlaufen eingelegt werden müssen. Wir müssen zwingend schneller werden. Der Bau eines einzigen Terminals darf nicht 15 Jahre dauern.

Baselland schiesst gegen den Flughafen. Ist der Basler Anschluss an die Welt in Gefahr?
2019 werden wir mehr als neun Millionen Passagiere am Euro-Airport zählen. Die Nachfrage wächst. Auf die Sorgen der vom Lärm betroffenen Bevölkerung sollte man eingehen. Die Lärmschutzanliegen der Bevölkerung und den volkswirtschaftlichen Nutzen auszubalancieren, ist eine Gratwanderung. Es ist erfreulich, dass der EAP bereits Massnahmen getroffen und damit bewiesen hat, dass es ihm mit dem Lärmschutz ernst ist. Allerdings darf das Betriebskonzept des Euro-Airport als Punkt-Punkt-Flughafen für Passagiere und Fracht seine Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren. Deshalb können auch die Betriebszeiten nicht beliebig verkürzt werden. Gefreut hat mich, dass Easyjet das Klimaproblem pragmatisch anpackt und die CO2-Kompensation selbst an die Hand genommen hat.

Basel hat die Rechte der Mieter gestärkt. Was bedeutet das für den Immobilienmarkt?
Bei Arealen, die einer neuen Nutzung zugeführt werden, prallen die verschiedenen Interessen aufeinander. Die Bereiche Wohnen, Freiraum, Erholung und Grünanlagen dürfen den Werkplatz Basel nicht gefährden. Das wäre verheerend. Gleichzeitig braucht es für den wachsenden Hightech-Bereich genügend geeignete Flächen.

Wird das Gewerbe aus der Stadt verdrängt?
Wie gesagt: Der Druck auf die Wirtschaftsflächen ist gross und bei emissionsreichem Gewerbe ganz besonders. Dazu müssen wir Sorge tragen und auch den Zugang zu den Unternehmen, zu den Kunden aufrechterhalten. Auch muss die Basler Verkehrspolitik neu gedacht werden.Die Fronten sind verhärtet. Es fehlen zukunftsträchtige Modelle. Als die Trams eingeführt wurden, war Basel fortschrittlich. Heute stecken wir in Grabenkämpfen fest, und neue, kombinierte Modelle kommen nicht vom Fleck.

Welche meinen Sie konkret?
Das geht vom People Mover über autonomes Fahren bis hin zum E-Bike. Wir sollten hier offen sein und versuchen, die Mobilitätsformen zu kombinieren. Nicht nur für den innerstädtischen Verkehr, sondern auch für die Pendler. Die Pendler sind Teil des Wohlstands dieser Region.

Sie wurden in den Landrat gewählt. Werden Sie nach der Abwahl von Christoph Buser, dem Direktor der Wirtschaftskammer, auch deren Anliegen im Parlament vertreten?
Ich bin von den Stimmberechtigten des Laufentals gewählt worden. Meine Sorge und mein Engagement gehören primär ihnen. 2019 hat die Handelskammer 200 neue Mitglieder gewonnen. Wir vertreten also inzwischen 60 Prozent der Arbeitsplätze in den beiden Basel. Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik wird weiterhin im Zentrum meiner politischen Arbeit stehen.

 

Das Interview wurde von Kurt Tschan geführt und in der Basler Zeitung publiziert.

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