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KOLUMNE
























                                      WIE BLEIBT DIE SCHWEIZ


                                        WETTBEWERBSFÄHIG?



                                                          Von Prof. Dr. Rolf Weder



                  Der Nobelpreisträger Paul Krugman charakterisierte die   Was heisst dies für die oben gestellte Frage? Erstens
                  wiederkehrenden Debatten um die Wettbewerbsfähigkeit  sollten wir uns keine Sorgen machen, ob die Schweiz
                  von Ländern einmal als «Dangerous Obsession», als   gegenüber Grossmächten wie China oder den USA
                    gefährliche Besessenheit. Warum? Weil die Argumenta­  «wettbewerbsfähig» bleibt. Ja, beide haben sich in den
                  tion in der Regel davon ausgeht, dass Länder wie Firmen   letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt, insbesondere
                  in einem internationalen Wettbewerb stehen: Je besser   in den neuen «digitalen» Technologien. Das ist aber
                  die anderen, desto schlechter ist dies für einen selbst.   nicht negativ zu bewerten. Die dortige Kaufkraft steigt,
                  Das mag für Firmen zutreffen, gilt aber nicht für Länder.  und die Technologie kann genutzt und weiterentwickelt
                                                                   werden. Zweitens ist ein offenes Handelssystem für
                  Ein Land ist grundsätzlich immer fähig, Güter und     kleine Länder wie die Schweiz entscheidend. Das SECO
                  Dienstleistungen zu exportieren. Das Lohnniveau passt   ist entsprechend aktiv mit dem Abschluss zahlreicher
                  sich entsprechend an die hohe beziehungsweise die   Freihandelsabkommen. Unabdingbar bleibt das multila­
                    tiefe Produktivität an. Diese Anpassung sichert die   terale Handelssystem mit der World Trade Organization in
                  Export fähigkeit, lässt sie aber auch nicht in den Himmel   Genf, dem die Schweiz höchste Priorität einräumen sollte.
                  wachsen. Geht es dem Ausland besser, ist das tenden­
                  ziell gut für das Inland: Die steigenden Löhne im Ausland   Die grosse Herausforderung ist interner Art: die Mechanis­
                  erhöhen die Nachfrage. Zudem gilt: Sinkende Exporte   men in der Schweiz zu erhalten, welche die hohe Produk­
                  und steigende Importe dürfen nicht als Signal abneh­  tivität und damit die hohen Reallöhne ermöglichen. Wir
                  mender Wettbewerbsfähigkeit eines Landes interpretiert   müssen das Augenmerk dabei auf das Innovationsumfeld
                  werden; bei einem Handelsbilanzdefizit weist das Land   in der Schweiz richten. Handlungsbedarf sehe ich bei der
                  nämlich einen Nettokapitalzufluss auf, was als Vertrau­  Datenverfügbarkeit insbesondere in den Life Sciences,
                  en aus ländischer Investoren in die heimische Wirtschaft   Chancen bei der Aufklärung der jungen Leute über das
                  interpretiert werden kann.                       Potenzial technisch­naturwissenschaftlicher Fächer und
                                                                   Gefahren durch Vorstösse, welche die traditionellen
                                                                     Tugenden der Schweiz wie Sparsamkeit, Unternehmertum,
                                                                   Leistungsbereitschaft und Verlässlichkeit bedrohen.





                                                                                                PROF. DR. ROLF WEDER
                                                                                              ist Professor für Internationale
                                                                                             Ökonomie an der Universität Basel.








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