Digital Talent: psychologische Forschung revolutionieren

24.01.2019

«Are you digital?» fördert auch Jungunternehmerinnen und -unternehmer mit digitalen Geschäftsideen. Wie das Startup Advancience mit seinem «Gamification»-Ansatz für die angewandte Psychologie. Im Interview erzählt Dr. Christian Vogler mehr über die Zusammenarbeit mit «Are you digital?» und darüber, wie er und seine Mitstreiter den menschlichen Spieltrieb nutzen möchten, um die Entstehung psychologischer Studien völlig neu zu erfinden.

Wie sind Sie auf «Digital Talent» aufmerksam geworden?

Dr. Christian Vogler: Durch unseren Coach bei InnoSuisse, der das Angebot kannte. Es kam für uns genau im richtigen Moment: Wenn man erst einmal ein Unternehmen gegründet hat, gibt es verschiedene Fördermöglichkeiten. Aber vor der Gründung hat man kaum Aussichten. Deswegen ist das Angebot der Handelskammer so genial: Es schliesst eine echte Lücke.

Wie sieht die Förderung konkret aus?

Vogler: Wir erhalten finanzielle Unterstützung, die in Tranchen ausbezahlt wird. Gemeinsam haben wir Meilensteine definiert, die wir erreichen müssen, damit wir die nächste Tranche erhalten. Wir mussten aber keine weiterführenden Verpflichtungen gegenüber «Are you digital?» oder der Handelskammer beider Basel eingehen.

Gibt es zusätzliche Unterstützung?

Vogler: Ja. In unserem Fachgebiet sind wir natürlich gut vernetzt, aber jede Erweiterung, auch in anderen Bereichen, ist wertvoll. Spannend für uns sind sicher die Themen rund um Life Sciences, in denen die Handelskammer besonders stark ist. Und dass wir im Rahmen des Angebots auch die Mitgliedschaft bei der Handelskammer für ein Jahr kostenlos bekommen, ist einfach perfekt!

Haben Sie denn mittlerweile bereits ein Unternehmen gegründet?

Vogler: Ja, seit dem 11. Januar sind wir als Advancience AG im Handelsregister eingetragen.

Grundlage für wissenschaftliche Studien

Verraten Sie uns etwas genauer: Was macht Advancience?

Vogler: Wir möchten psychologische Daten auf eine neue Art und Weise und in höherer Frequenz sammeln. Die Psychologie steckt mitten in der sogenannten Replikationskrise, die seit bald zehn Jahren immer offensichtlicher wird. Nur rund 50 Prozent der Studien lassen sich replizieren, also durch Folgeuntersuchungen bestätigen. Das heisst, wir gehen in vielen Bereichen von Annahmen aus, die keine wirkliche wissenschaftliche Grundlage haben.

Woran liegt das?

Vogler: In den meisten Fällen an zu wenigen Teilnehmenden. Hinzu kommt: Tests macht man normalerweise einmal. Dann spielen Dinge wie Tagesform oder Laune eine grosse Rolle und die Entwicklung über die Zeit hinweg geht völlig verloren.

Wie lässt sich das ändern?

Vogler: Wir möchten möglichst viele Menschen mehrfach testen, und das in einer hohen Datenqualität. Dazu haben wir bisher zehn Tests entwickelt, von grundlegenden Faktoren wie Reaktionszeit über komplexere Punkte wie das Arbeitsgedächtnis bis hin zu «Theory of Mind»: Wie gut kann ich mich in andere hineinversetzen und ihr Handeln voraussagen? Letzteres überprüfen wir übrigens anhand von Witzen: Probanden erhalten als Infos gewisse Eckdaten über die Ansichten und Einstellungen einer Person, und sollen daraus ableiten, wie lustig sie einen bestimmten Witz findet. Wer die andere Person ist, bleibt dabei natürlich völlig anonym.

Weshalb sollten an Ihren Tests mehr Menschen teilnehmen als an herkömmlichen Studien?

Vogler: Beim Erstellen psychologischer Tests wurde bisher nie an die User Experience gedacht. Für gewöhnlich werden Probanden bei Studien bezahlt, damit sie einen recht langweiligen Versuchsablauf über sich ergehen lassen. Doch gerade wenn man einen Test mehrmals ablegen soll, muss er Spass machen. Deswegen bauen alle unsere Tests auf unterhaltsamen Spielen auf, die jeder bequem zuhause am Computer spielen kann. Darüber hinaus wollen wir den Teilnehmenden etwas zurückgeben: Sie erhalten beispielsweise Auswertungen über sich selbst im zeitlichen Verlauf und über den Vergleich mit anderen.

Das heisst, Sie sammeln Daten über die User. Das gilt gerade im Zusammenhang mit der menschlichen Psyche als heikel.

Vogler: Richtig, wir sammeln extrem sensitive Daten. Niemand möchte, dass diese nach aussen dringen. Uns war früh klar, dass es eine dritte Instanz braucht, die Sicherheit garantiert. Deswegen arbeiten wir mit einer Schweizer Gesundheitsplattform, der Healthbank Genossenschaft, zusammen. Dort erstellt der User einen Account, über den er sich bei uns anmeldet. So erhalten wir keine Angaben, über die wir die User identifizieren könnten, sondern nur eine Menge an anonymen Daten.

Das Thema Privatsphäre spielt für uns eine sehr grosse Rolle. Wir hoffen, dass sogar eine weiterführende Sensibilisierung stattfindet, wenn ein Testteilnehmer sieht, wie seine Daten ausgewertet werden. Heute haben wir die absurde Situation, dass psychologische Studien mit 20 bis 50 Teilnehmern stattfinden, während Facebook und vergleichbare Plattformen Daten von Millionen von Menschen erhalten. Was übrigens häufig auch über kleine Spiele abläuft.

Dr. Christian Vogler, Advancience AG
Medikamente verlässlich entwickeln und beurteilen

Wie verdienen Sie mit Ihrem Geschäftsmodell Geld?

Vogler: Aktuell bieten wir Usern ein Freemium-Modell an, vor allem weil wir zuerst einmal eine möglichst grosse Datenmenge generieren möchten. Künftig wird es auch ein Bezahl-Modell geben, mit dem ein User Zugriff auf detailliertere Auswertungen seiner Testergebnisse erhält. Momentan denken wir an 50 Franken pro Jahr.

Das klingt aber noch nicht nach dem grossen Ziel am Horizont, richtig?

Vogler: Wenn wir unsere Tests einmal validiert haben – dabei sprechen wir von 2'000 bis 10'0000 Teilnehmenden – können wir sie auch für andere Bereiche nutzbar machen. Zum Beispiel für die Früherkennung von psychiatrischen Erkrankungen und zum Entwickeln neuer Medikamente: Um heute Daten bezüglich Alzheimer zu erheben, gibt es Fragebögen, die von Patienten oder ihren Angehörigen ausgefüllt werden. Es gibt also eine stets subjektive Fremd- oder eine Selbsteinschätzung. Mit unseren Spielen testen wir objektiv den Zustand des Patienten. So lässt sich die Wirksamkeit von Medikamenten realistisch beurteilen. Stellen Sie sich nur vor: Vielleicht hielten wir das Medikament gegen Alzheimer bereits in der Hand, haben es aber wieder weggeworfen, weil wir seine Wirksamkeit nicht erkannt haben – aufgrund mangelhafter Tools in der Bewertung.

DIGITAL TALENT – DER WEG ZUM EIGENEN STARTUP

Die Gründung eines Unternehmens bringt viele Herausforderungen mit sich – vor allem muss die Umsetzbarkeit einer Geschäftsidee erst einmal aufgezeigt werden.

Die Handelskammer beider Basel unterstützt ausgewählte Gründerinnen und Gründer dabei mit finanziellen Mitteln, wertvollen Kontakten und dem Wissen erfahrener Unternehmerinnen und Unternehmer. Auf www.are-you-digital.ch  erfahren Sie mehr über die Förderung.

 

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