«Ein Spiel auf Leben und Tod»

12.07.2022

Multiresistente Keime - Immer mehr Antibiotika werden wirkungslos gegen resistente Bakterien. Forschende, wie das Team um den Basler Professor Christoph Dehio, befinden sich bei der Suche nach neuen Behandlungsstrategien in einem Wettlauf gegen die Zeit.

von Dina Sambar, erschienen in der Basler Zeitung 27.6.2022

Wie dramatisch ist die Lage, Herr Dehio?

Laut einer aktuellen Studie sterben weltweit pro Jahr rund 1,3 Millionen Menschen durch Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien. Sollte dem Resistenzproblem nicht wirksam begegnet werden, sind für das Jahr 2050 sogar 10 Millionen Todesfälle prognostiziert. Das wäre dann die Haupttodesursache - noch vor Krebserkrankungen. Wir müssen jetzt handeln, um rechtzeitig neue Antibiotika oder alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben.

Häufen sich Fälle mit Antibiotikaresistenzen auch in der Schweiz?

In der Schweiz geht man sehr sorgsam mit Antibiotika um, sodass die Problematik noch nicht so gross ist wie in vielen anderen Ländern. Dennoch haben wir jährlich einige Hundert Fälle, die fatal ausgehen. Doch resistente Keime machen nicht halt vor Landesgrenzen. Die grossen Angstmacher sind Erreger, die gegen sogenannte Carbapenem-Antibiotika resistent sind. Diese Bakterien werden meist in die Schweiz importiert, beginnen sich aber auch hier auszubreiten. 2013 hatten wir 249 gemeldete Fälle in der Schweiz, 2020 bereits 994. Auch in Basel haben wir Fälle, die nicht mehr behandelbar sind. Ich kann Ihnen ein eindrückliches Beispiel geben.

Gerne.

Im Jahr 2010 wurde aus dem südlichen Europa ein 60-jähriger Mann mit Unterleibsproblemen in unser Universitätsspital überführt. Nach einer Operation hatte er Fieber entwickelt. Zuerst wurde er erfolglos mit Antibiotika antherapiert. Dann kam heraus, dass es sich um einen Keim handelt, der gegen Carbapeneme resistent ist. In diesem Fall hat man nur noch wenige Optionen - beispielsweise Colistin, das man wegen der Nebenwirkungen nur in Notsituationen gibt. Dagegen wurde der Keim jedoch bald ebenfalls resistent. Man hat ihm dann einen Cocktail der drei verbleibenden einsetzbaren Antibiotika verabreicht. Aufgrund der unkontrollierbaren Infektion starb er jedoch an multiplem Organversagen. In seinem Körper hatten sich gegen zwei dieser drei Antibiotika bereits wieder Resistenzen entwickelt.

Könnte in Zukunft ein einfacher Kaiserschnitt zur Gefahr werden?

Ja, ohne wirksame Antibiotika wird jede Routineoperation wieder ein Spiel auf Leben und Tod. Wirksame Antibiotika sind die Grundlage praktisch aller grossen Errungenschaften der modernen Medizin. So sind zum Beispiel Krebspatienten während der Chemotherapie aufgrund der damit einhergehenden Schwächung des Immunsystems abhängig davon, dass man bakterielle Infektionen im Griff hat. Die grossen Killer sind aber Lungenentzündungen und Blutvergiftungen.

Professor Christoph Dehio betonte an Anlass der Handelskammer beider Basel: «Es besteht die Notwendigkeit, neue Ansätze zu erforschen.»
Wie konnte es so weit kommen?

Nach der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 und in rascher Folge von weiteren Antibiotika dachte man, das Problem sei gelöst. Antibiotika wurden breit eingesetzt - leider auch in grossem Masse in der Veterinärmedizin. Sie wurden sogar bei Nutztieren als ein Wachstumsbeschleuniger verwendet. Das hat dazu geführt, dass Antibiotikaresistenzen gegen praktisch alle verwendeten Antibiotika entstanden sind. Und Bakterien sind in der Lage, diese über die Artgrenzen hinweg auszutauschen. So sind multiresistente Erreger entstanden, die kaum noch oder mitunter gar nicht mehr therapierbar sind.

Seit 40 Jahren stagniert die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Weshalb?

Nach den goldenen Jahren der Antibiotikaforschung wurden die Antibiotika mit abgelaufenem Patentschutz zu Spottpreisen auf den Markt geworfen. Aus diesem Grund stellt das Gesundheitssystem wenig Geld dafür zur Verfügung. Für die Industrie lohnt es sich nicht, Antibiotika zu entwickeln. Rechnet man die Fehlgriffe mit ein, kostet die Entwicklung eines Antibiotikums mehr als eine Milliarde Dollar. Doch es gibt auch wissenschaftliche Gründe. Man hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder nur Spielarten der bereits bekannten Antibiotika entdeckt beziehungsweise weiterentwickelt. Es besteht die Notwendigkeit, neue Ansätze zu erforschen.

Hier setzen Sie mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «Anti-Resist» an. Wie sieht dieser neue Ansatz aus?

Normalerweise werden Antibiotika in der Petrischale getestet. In der verwendeten Nährstofflösung haben Bakterien ideale Bedingungen für ein ungebremstes Wachstum. In unseren Körpern herrschen jedoch ganz andere Bedingungen. Wir stellen weniger Nährstoffe bereit. Bakterien sind im Körper praktisch immer am Hungern und werden zudem noch von Immunzellen angegriffen. Das Antibiotikum Cefiderocol wirkt im Körper beispielsweise wunderbar, weil dort immer Eisenmangel herrscht. In der traditionellerweise verwendeten Nährstofflösung kann es die Bakterien aber nicht abtöten, weil die eisengesättigten Bakterien das Antibiotikum nicht aufnehmen. Wir gehen davon aus, dass es weitere wirksame Antibiotika gibt, die deswegen bisher nicht entdeckt wurden.

Wie wollen Sie dieses Problem umgehen?

Aus der Uniklinik in Basel erhalten wir Proben von infizierten Patienten, um besser zu verstehen, in welchem Zustand sich die Erreger und das Wirtsgewebe befinden. Im Labor bauen wir das infizierte menschliche Gewebe realitätsgetreu nach. Diese sogenannten Organoide werden dann verwendet, um neue Wirkstoffe zu testen. Neben der Wirkung auf den Erreger erlauben diese Modelle auch Rückschlüsse auf die Wirkung auf das Gewebe. So können zum Beispiel auch toxische Wirkungen früher erkannt werden.

Von was für einem Zeithorizont sprechen wir?

Die Entwicklung neuer Antibiotika ist kein schneller Schuss aus der Hüfte. Der Nationale Forschungsschwerpunkt «Anti-Resist» wird über 12 Jahre finanziert. In der ersten Vier-Jahres-Phase erstellen wir die Modelle. In der nächsten Phase werden diese gezielt eingesetzt, um neue Wirkstoffe aufzuspüren, aber auch um unkonventionelle Strategien wie die Phagen-Therapie zu entwickeln. Bei Letzterer werden die Erreger durch Phagen, dass heisst Viren, die Bakterien infizieren, aufgespürt und abgetötet. In den abschliessenden vier Jahren werden wir dann hoffentlich bereits erfolgversprechende Behandlungsstrategien an Patienten testen können.

Sind Sie optimistisch, dass wir in Zukunft neue wirksame Behandlungsmethoden haben werden?

Wie kaum eine andere Region der Welt bietet der Grossraum Basel hervorragende Voraussetzungen, um in diesem Bereich einen Durchbruch zu erzielen. Hier gibt es starke akademische und medizinische Institutionen und Firmen aus dem Pharma- und Biotech-Sektor mit Erfahrung und aktiven Antibiotika-Entwicklungsprogrammen. Im Zusammenspiel dieser Partner kann der Nationale Forschungsschwerpunkt sicherlich wichtige Impulse setzen. Es wird aber viel Zeit und auch die Unterstützung auf politischer Ebene benötigen, um ein Marktmodell zu etablieren, das die Entwicklung von Antibiotika auch wirtschaftlich wieder interessant macht, sodass eine nachhaltige Lösung des Resistenzproblems möglich wird.

 

Christoph Dehio ist Professor für Molekulare Mikrobiologie am Biozentrum der Universität Basel. Er leitet den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Anti-Resist», an dem neben der Universität Basel als leitende Institution auch die Universitätsspitäler Basel und Zürich sowie die ETH, die EPFL und die Universität Lausanne beteiligt sind.

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