«Force Majeure» - wann höhere Gewalt geltend gemacht werden kann

27.03.2020

Wenn Schweizer Firmen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, dann richten sich die Rechtsfolgen nach dem jeweiligen von ihnen abgeschlossenen Vertrag. Viele Verträge enthalten sogenannte «Force Majeure»-Klauseln, die beispielsweise festhalten, in welchen Fällen höhere Gewalt vorliegt. Sie regeln auch, was die genauen Voraussetzungen sind, um diese – eventuell auch innerhalb welcher Fristen – geltend machen zu können oder was die Konsequenzen sind.

Liegt keine spezifische Vertragsregelung vor und kommt Schweizer Recht zur Anwendung, gilt Folgendes:

Grundsätzlich gilt, dass bei Unmöglich werden einer Leistung ohne Verantwortung des Schuldners (= nachträgliche objektive Leistungsunmöglichkeit) der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit ist. Das heisst, dass die Forderung des Gläubigers als erloschen gilt. 

Bei zweiseitigen Verträgen haftet der dadurch freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht (vgl. Art. 119 OR).

Bei der Frage, ob ein Unmöglich werden einer Leistung ohne Verantwortung des Schuldners - zum Beispiel bei höherer Gewalt - vorliegt, handelt es sich um eine zivilrechtliche/vertragsrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Vertragsparteien. Letztlich kann im Streitfall nur das Gericht in Kenntnis sämtlicher Umstände des konkreten Falls verbindlich urteilen, ob höhere Gewalt beziehungsweise ein unverschuldetes Unmöglich werden einer Leistung vorliegt und welche Vertragspartei diese/s Gefahr/Risiko zu tragen hat.

In der aktuellen Situation bedeutet dies, dass ein Schweizer Lieferant oder Dienstleistungserbringer, der aufgrund der Coronavirus-Situation und behördlicher Massnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung/Ansteckungsgefahrunverschuldet seine Leistung nicht (mehr) erbringen kann, von dieser Leistungspflicht grundsätzlich befreit ist. Allerdings muss er dem Kunden/Gläubiger die allenfalls bereits erhaltene Geldzahlung zurückerstatten, es sei denn, die Vertragsparteien hätten im Vertragsverhältnis vorgängig eine andere Risiko-/Gefahrentragung vereinbart.

Für den Fall, dass lediglich eine vorübergehende Unmöglichkeit zur Leistungserbringung vorliegen würde, kämen die Regeln des Schuldnerverzugs gemäss Art. 107-109 OR zur Anwendung, sofern die (verspätete) Leistungserbringung des Schuldners für den Gläubiger noch einen Nutzen hätte. Wie oben erwähnt, obliegt es letztlich im Streitfall dem Gericht, in Kenntnis sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls verbindlich zu entscheiden. Der Staat kann und soll nicht in zivilrechtliche Verhältnisse eingreifen. Deshalb erlässt der Bund, in diesem Fall das SECO, keine «Force Majeure»-Bescheinigungen.

Den Schweizerischen Industrie- und Handelskammern wurde es freigestellt, Erklärungen nach dem Muster von Österreich auszustellen. Bitte beachten Sie, dass es sich bei einer von einer Handelskammer ausgestellten Erklärung um die Aussage eines privaten Vereins handelt, die keine unmittelbare Rechtswirkung entfaltet. Solche Erklärungen können aber für die im Ausland tätigen Firmen trotzdem von Nutzen sein.

Betroffenen Schweizer Lieferanten und Dienstleistungserbringer empfehlen wir, mit ihren Kunden beziehungsweise Vertragspartnern möglichst rasch Kontakt aufzunehmen und nach Lösungen im Einzelfall zu suchen. Solche Lösungsmöglichkeiten könnten zum Beispiel Vereinbarungen über Fristverlängerungen zur Leistungserbringung sein.

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