Kein «David gegen Goliath» beim Verbandsbeschwerderecht

11.07.2023

Die vorliegende Gesetzesänderung ist ein Schritt in die richtige Richtung und hat die volle Unterstützung der Handelskammer beider Basel. Aus Sicht der Wirtschaft ist aber auch klar, dass die Anpassungen nicht weit genug gehen. Das Verbandsbeschwerderecht hat sich zu einem Bremsklotz entwickelt und muss weiter verwesentlicht werden.

Zusammenfassung der Hauptforderungen

Die Handelskammer beider Basel stellt folgende Forderungen:

  • Der Kommissionsmehrheit (UREK) zu folgen und die geforderte Gesetzesänderung damit möglichst grosszügig umzusetzen
  • Den in diesem Gesetz festgelegten Grenzwert von 400m2 auf 1'000m2 zu erhöhen
  • Darüber hinaus eine breite Diskussion über Sinn, Zweck und Zeitgemässheit des Verbandsbeschwerderechts zu lancieren
  • Das Verbandsbeschwerderecht zu verwesentlichen, um dringend benötigte Investitionen in unsere Infrastruktur und folglich auch die Energiewende zu ermöglichen
  • Anstelle des Verbandsbeschwerderechts soll ein frühzeitiger Dialog mit allen relevanten Stakeholdern und eine transparente Güterabwägung treten
Ausgangslage

Am 14. März 2019 reichte Nationalrat Philipp Bregy die parlamentarische Initiative 19.409 «Kein David gegen Goliath beim Verbandsbeschwerderecht» ein. Er beantragte, das Natur- und Heimatschutzgesetz vom 1. Juli 1966 (NHG) zu ändern und damit das Verbandsbeschwerderecht nach Artikel 12 NHG bei kleineren Einzelprojekten innerhalb der Bauzone einzuschränken. Im Rahmen des Verfahrens zur Vorprüfung von parlamentarischen Initiativen (Art. 109 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002) gab die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) der Initiative am 10. August 2020 mit 13 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung Folge. Die Schwesterkommission des Ständerates stimmte dem Beschluss der UREK-N am 16. Oktober 2020 mit 8 zu 4 Stimmen zu. Im Anschluss erarbeitete die UREK-N einen Vorentwurf. Sie stimmte diesem am 28. März 2023 mit 13 zu 9 Stimmen bei einer Enthaltung zu und schickte ihn in die Vernehmlassung.

Konzeption

Zur Beschwerde berechtigte Umweltorganisationen können gestützt auf das Umweltschutz- und das Natur- und Heimatschutzgesetz gegen bestimmte Vorhaben Beschwerde wegen Verletzung von Bundesumweltrecht erheben. Damit können sie gerichtlich beurteilen lassen, ob ein Vorhaben gesetzeskonform ist. Eine gegen dieses Verbandsbeschwerderecht ergriffene Volksinitiative wurde am 30. November 2008 mit 66 Prozent abgelehnt.

Bei kleineren Wohnbauten, definiert als Wohnbauten mit einer Geschossfläche von weniger als 400m2, ist es jedoch nicht gerechtfertigt, dass die Umweltorganisationen in gewissen Fällen eine Verbandsbeschwerde nach Artikel 12 Natur- und Heimatschutzgesetz ergreifen können. Bürgerinnen und Bürger, die in der Bauzone solche Wohnbauten errichten möchten, sollen von Umweltorganisationen grundsätzlich keine Beschwerden mehr gewärtigen müssen. In diesem Bereich soll das Beschwerderecht deshalb auf jene Fälle beschränkt werden, in denen entsprechende Wohnbauten in besonders sensiblen Gebieten (z.B. Vorhaben in geschützten Dorfkernen oder in ausgeschiedenen Biotopen) geplant sind. Auch bei Projekten, die ausserhalb der Bauzone geplant sind, soll generell keine Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts erfolgen.

Forderungen

Die Handelskammer beider Basel befürwortet die beantragte Änderung des Natur- und Heimatschutzgesetzes. Wir halten den Grenzwert von 400m2 grundsätzlich für sehr tief und fänden eine Obergrenze von 1'000m2 zweckdienlicher. Somit wären auch Mehrfamilienhäuser inbegriffen, denn auch beim Bau dieser sind oft Private involviert. Für uns ist gleichzeitig klar, dass dies nur der erste Schritt sein kann und die Politik beim Verbandsbeschwerderecht grundsätzlich über die Bücher gehen muss. Wir sind der Meinung, dass sich die Rahmenbedingungen in diesem Bereich seit der offiziellen Einführung des Verbandsbeschwerderechts im Jahr 1983 stark verändert haben. Mittlerweile ist die Umweltschutzgesetzgebung massiv ausgebaut worden und greift auch ohne Verbandsbeschwerderecht. Denn grundsätzlich liegt es in der Verantwortung der rechtsanwendenden Verwaltungsbehörden, die öffentlichen Interessen am Umweltschutz, im Rahmen von umweltrechtlichen Bewilligungsverfahren, richtig zu gewichten. Aus unserer Sicht wären entsprechende Korrekturen deshalb auch in anderen Rechtsgebieten, etwa dem Gewässerschutz und der Denkmalpflege, angebracht.

Deshalb nutzen wir die Gelegenheit, auch von unserer Seite auf die grossen Probleme hinzuweisen, welche ein exzessiv ausgenütztes Verbandsbeschwerderecht mit sich bringt. Vor allem bei grossen Infrastrukturvorhaben von nationaler Bedeutung in den Bereichen Verkehr (Beispiel: Trimodales Güterverkehrsterminal Gateway Basel Nord), Energie (Beispiel: Pumpkraftwerke und deren Erweiterungen sowie alpine Photovoltaikanlagen) und Kommunikation (Beispiel: Übertragungsnetze und 5G-Antennen) können wir uns die Blockadepolitik der Umweltverbände nicht mehr leisten. Denn durch seine extensive Anwendung hat sich das Verbandsbeschwerderecht (VBR) zu einer hohen Hürde bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten entwickelt. Viel erfolgsversprechender wäre ein breiter und früher Einbezug verschiedener Stakeholder bei der Planung von Projekten. Denn am beförderlichsten wird die Umwelt durch Kooperation geschützt.

Zudem ergibt sich aus der aktuellen Gesetzgebung einseitig ein erhebliches Druckmittel. Denn auch wenn ein Umweltverband rechtlich nichts gegen ein Projekt einwenden kann, so kann er es doch um Jahre verzögern. Für die Bauherrschaft sind solche Einsprachen ausgesprochen aufwändig und teuer. Die volkswirtschaftlichen Kosten von Bauprojektverzögerungen und -verhinderungen gehen weit über die Planungs- und Projektierungskosten hinaus. Eine Nichtrealisierung oder Verzögerung verursacht betriebs- und volkswirtschaftliche Opportunitätsverluste, die nicht beziffert werden können, aber mitberücksichtigt werden müssen, wenn der volkswirtschaftliche Schaden beurteilt wird. Hierzu gehören insbesondere die «Entmutigungskosten», welche die langwierigen und durch Beschwerden unsicher gemachten Projektverfahren verursachen.

Auch mit Hinblick auf die Energiewende ist eine Revision des Verbandbeschwerderechts dringend notwendig. Für die Wirtschaft ist klar, es braucht bei der Revision des Verbandsbeschwerderechts einen breiteren Ansatz. So sollen etwa zonenkonforme Bauten, die unter Einhaltung der Bauvorschriften erstellt werden, vom Verbandsbeschwerderecht ausgenommen werden. Damit wären Bauprojekte im Rahmen eines Gestaltungsplans, dessen Gutheissung in einer Volksabstimmung zugestimmt wurde, vom späteren Verbandsbeschwerderecht ausgeschlossen. Heute ist es möglich bei Projekten, die der Bewilligung durch das Volk oder ein Parlament unterstehen, zweimal direkt einzugreifen – im Rahmen der politischen Debatte und nachher nochmals auf dem Rechtsweg. Dabei hat sich die Ausgangslage seit der Volksinitiative im Jahr 2008 auch diesbezüglich verändert. Schon allein das geänderte makroökonomische Umfeld zwingt uns dazu, Regulierungskosten zu senken, um uns die dringend notwendige Weiterentwicklung unserer Infrastruktur weiterhin leisten zu können. Auch werden viel zu oft ökologisch sinnvolle Projekte aus Partikularinteressen verhindert.

Das heute geltende Sonderrecht ist staatspolitisch fragwürdig, ökologisch ineffizient und kontraproduktiv. Private Organisationen sollen Behörden durchaus auf vermutete Probleme und zu berücksichtigende Anliegen hinweisen können. So bleibt das Rekursrecht auch ohne Verbandsbeschwerderecht in jedem Fall gewahrt, doch kann Umweltverbänden keine offizielle und letztinstanzliche Funktion zukommen. Die Handelskammer beider Basel fordert eine stärkere Gewichtung wirtschaftlicher Aspekte. Eine intakte Umwelt ist für die Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor. Aber die Realisierung von grösseren Infrastrukturprojekten ist für unser Wachstum und die Sicherung des Wohlstands der Schweiz zentral. Diese wirtschaftlichen Aspekte dürfen in der Interessenabwägung nicht vernachlässigt werden. Das Verbandsbeschwerderecht hat sich zu einem ernsthaften Bremsklotz entwickelt und muss weiter verwesentlicht werden. Die bisher beschlossenen Änderungen sind ungenügend. Nichtsdestotrotz stellt die vorgeschlagene Gesetzesänderung einen wichtigen ersten Schritt dar. Die Handelskammer beider Basel unterstützt die Vorlage deshalb mit Nachdruck, stellt aber gleichzeitigt klar, dass weitere Schritte folgen müssen.

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