Nachhaltigkeit in der Raumentwicklung: Dynamik oder Stillstand?

03.05.2022

Kann Raumentwicklung ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltiger werden? Was braucht es dazu? Und wie spielen die 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele mit rein? Diesen Fragen sind wir kürzlich an der «Werkstatt Basel» an der Swissbau nachgegangen.

In ihrem Inputreferat betonte Maria Lezzi, Direktorin Bundesamt für Raumentwicklung, dass Nachhaltigkeit in der Raumentwicklung sehr stark davon abhänge, dass man Zusammenhänge, dazu zählen auch die Marktmechanismen, verstehen muss, um eine Balance in der Interessensabwägungen zu finden.

Integrale Sichtweise einnehmen

Eine integrale Sichtweise sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor nachhaltiger Raumentwicklung. Bei den Mitwirkungsverfahren wünsche sie sich deshalb, dass die Wirtschaft stärker und systematischer einbezogen werde – eine Forderung, die in der darauffolgenden Diskussion auch Beatrice Isler, Ehrenpräsidentin Neutraler Quartierverein Gundeldingen, aus dem Backing stellte: Die Bevölkerung und die Wirtschaft gehörten an einen Tisch. Das fördere das gegenseitige Verständnis und mache Projekte nachhaltig. Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister und Leiter Städtebau & Architektur des Kantons Basel-Stadt bemerkt hierzu, dass sich die Bevölkerung deutlicher einbringe als die Wirtschaft. Sebastian Deininger, Leiter Verkehr, Raumplanung, Energie und Umwelt Handelskammer beider Basel erwiderte, dass sich die Wirtschaft gerne in die Debatte einbringt. Entscheidend hierfür seien aber entsprechend transparente Prozesse mit klarem Auftrag und Zielsetzung. Hier gibt es Handlungsbedarf. Eine Live-Befragung beim Publikum zeigte, dass 59 Prozent der Meinung sind, dass die Wirtschaft bei der Raumentwicklung zu wenig gehört werde.

Emotionen einbeziehen

Maria Lezzi ist überzeugt, dass eine nachhaltige Raumentwicklung auch bedeutet regionale Ungleichheiten auszugleichen, sodass gleiche Chancen für alle bestünden. Nachhaltige Raumentwicklung hiesse zu gestalten, sodass die Schweiz ein attraktiver Lebens- und Wirtschaftsraum bleibt – sprich erreichbar, lebenswert, gesund, sicher, wandlungsfähig – für uns, unsere Kinder und unsere Enkelkinder. Dies erfordere Koordination, Zusammenarbeit und Partnerschaften. Nicht zuletzt müsse man auch Emotionen in die nachhaltige Raumentwicklung einbeziehen. Dieser Meinung ist auch Susanne Zenker, Leiterin Development und Mitglied der Geschäftsleitung SBB Immobilien AG, die den Ball an der anschliessenden Podiumsdiskussion aufnahm. Grundstücke müsse man so entwickeln, dass sich die Nutzer darin wohlfühlen. Die UNO-Nachhaltigkeitsziele können dabei als Leitplanken dienen.

Podiumsdiskussion An der Werkstatt Basel diskutierten Expertinnen und Experten Nachhaltigkeit in der Raumplanung.
Konflikte früh adressieren

Adrian Wyss, Head Division Real Estate und Member Executive Committee Implenia AG, appelliert, dass die Entwicklungsprozesse planbar blieben und die Entwickler nicht zum Spielball der verschiedenen Parteien und unterschiedlichen Nutzerinteressen würden. Aus dem Backing bemerkt Martin Haller, Verwaltungsratspräsident Gateway Basel Nord AG, hierzu, dass Konflikte möglichst früh im Entwicklungsprozess adressiert und ein Konsens dazu gefunden werden müsse. Denn die UNO-Ziele, welche das Nachhaltigkeitsverständnis in Zukunft prägen werden, widersprechen sich zum Teil oder stehen in Konflikt zueinander. Die Partizipation habe schliesslich das Ziel, zu besseren und damit auch nachhaltigeren Lösungen zu kommen, doppelte Maria Lezzi nach.

Grosse Herausforderungen stehen an

Sebastian Deininger, bemerkte aus dem Backing, dass die grossen Herausforderungen in der Raumentwicklung mit den grossen Transformationsarealen erst anstünden. Das sieht auch Kantonsbaumeister Basel-Stadt Beat Aeberhard so. Es bestehe Handlungsbedarf und die im Raum stehenden Forderungen nach günstigen Wohnungen müsse man ernst nehmen. Allerdings ist er auch überzeugt, dass es für eine gute Stadt mehr als nur günstigen Wohnraum brauche. Regierungsrat Isaac Reber, Vorsteher Bau- und Umweltschutzdirektion Baselland, appellierte, dass man eine langfristige Optik einnehmen und massvoll sein müsse. Die demografischen Kennzahlen seien keine Konstante, sondern in Bewegung. Die Infrastruktur- und die Siedlungsentwicklung müssten deshalb Hand in Hand gehen.

Dicht und divers

Für Beat Aeberhard muss eine gute Stadt dicht und divers sein. Dass Dichte dabei kein Selbstzweck sei, sondern am richtigen, sinnvollen Ort als Schwerpunkte erfolgen muss, darin waren sich alle Podiumsteilnehmenden einig. Die Frage von Beatrice Isler aus dem Backing, ob das Publikum Angst vor Dichtestress habe, beantwortete dieses zu 64 Prozent mit einem klaren Nein.

Mehr Experimentierfreude und Flexibilität

Zusammenfassend hielt Martin Dätwyler, Direktor Handelskammer beider Basel fest, dass die Nachhaltigkeitsziele der UNO einen Beitrag zur Konsensbildung in der Raumplanung geben könnten. Diese müssten richtig interpretiert und als Chance verstanden werden. Die Wünsche der Podiumsteilnehmenden an eine nachhaltige Raumplanung seien mehr Experimentierfreude, mehr Handlungsspielraum und Flexibilität im Planungsprozess – sei dies beispielsweise durch eine zweistufige Baubewilligung, wie von Susanne Zenker angeregt, oder eine gewisse Bandbreite in den Bebauungsplänen, wie von Adrian Wyss gewünscht – sowie die Erwartungen realistisch zu halten.

Einig sind sich alle darin, dass wir die grossen Projekte anpacken müssen, denn Stillstand ist nicht nachhaltig. Wenn wir nicht entwickeln, werden wir entwickelt!

UNO-Nachhaltigkeitsziele

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung mit ihren 169 Unterzielen sind das Kernstück der Agenda 2030. Sie tragen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension der nachhaltigen Entwicklung in ausgewogener Weise Rechnung und führen zum ersten Mal Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung in einer Agenda zusammen.

17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

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