Bundesgesetz über die Individualbesteuerung

17.03.2023

Die Handelskammer setzt sich für die Einführung der Individualbesteuerung in Form der Variante 1 ein. Diese setzt sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich die richtigen Anreize, indem sie Ehe- und Konkubinatspaare gleichstellt. Für die Wirtschaft ist vor allem der dadurch gewonnene Anreiz für einen Zweiterwerb oder ein höheres Arbeitspensum sehr wichtig. Damit wird inländisches Fachkräftepotential besser ausgeschöpft und dem akuten Mangel an Fachkräften entgegengewirkt. Ebenfalls von Bedeutung ist der Handelskammer die mit der Vorlage vorgesehene steuerliche Entlastung der Bevölkerung um CHF 1 Mrd. Die zusätzlichen finanziellen Mittel bei den Steuerzahlern werden sich positiv auf die Schweizer Volkswirtschaft auswirken.

1. Generelles zur Vorlage

In den letzten Jahren wurde viel über die Ausgestaltung der Paarbesteuerung diskutiert. Sowohl auf dem Initiativweg wie auch durch parlamentarische Vorstösse wurden verschiede Modelle vorgeschlagen, die alle vor allem zum Ziel hatten, die steuerliche Mehrbelastung von verheirateten Zweiverdienerpaaren gegenüber Konkubinatspaaren («Heiratsstrafe») abzuschaffen. Die Einführung der Individualbesteuerung erfüllt diese Zielsetzung durch eine zivilstandunabhängige Besteuerung, was – obwohl nicht direkt wirtschaftsrelevant – von der Handelskammer begrüsst wird.

Wesentlich für die Handelskammer sind vor allem die durch die Individualbesteuerung erhöhten Anreize für einen Zweiterwerb oder ein höheres Arbeitspensum. Dies würde gesamtschweizerisch zu geschätzt 10'000 bis 47'000 zusätzlichen Vollzeitstellen führen, welche heute aufgrund des in allen Branchen vorhandenen Fachkräftemangels für die Unternehmungen von grosser Bedeutung wären.

Weiter bedauert die Handelskammer das Vorgehen des Bundes, zwei Varianten in die Vernehmlassung genommen zu haben. Die Variante 2 stellt bereits einen Kompromissvorschlag dar, welcher wesentliche Grundaspekte der Individualbesteuerung untergräbt. Von Vornherein diesen Vorschlag auf dem Tisch zu haben, mindert die Chancen auf eine vollständig zivilstandneutrale Gestaltung der Individualbesteuerung.

2. Zu einzelnen Aspekten der Vorlage

2.1. Beschäftigungseffekte

Die Heiratsstrafe bedeutet, dass das Zweiteinkommen bei Ehepaaren überproportional stark belastet wird. Dies führt dazu, dass Zweitverdiener auf ein Erwerbseinkommen verzichten oder nur sehr niedrigprozentig einer Arbeit nachgehen. Die Individualbesteuerung würde zu einer steuerlichen Minderbelastung des Zweiteinkommens führen, was für Zweitverdiener einen wichtigen Anreiz für die Aufnahme einer Arbeit darstellen würde.

Durch die Einführung der Individualbesteuerung würden zudem auch auf kantonaler Ebene ledige und verheiratete Personen steuerlich gleichbehandelt werden. Dies bedeutet in einigen Kantonen die Abschaffung der Heiratsstrafe, in anderen aber auch die Abschaffung von steuerlichen Ehepaarprivilegien (bspw. Vollsplitting, Teilsplitting). Bei Ehepaaren mit nur einem Einkommen führt dies zu einer steuerlichen Mehrbelastung, was ebenfalls den Anreiz für ein Zweiteinkommen erhöht. Schätzungen gehen davon aus, dass mit der Individualbesteuerung gesamtschweizerisch 2'600 bis 10'000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzt werden könnten.

Diese zusätzlichen Vollzeitstellen werden von der Wirtschaft dringend gebraucht. Unternehmen leiden zurzeit an einem akuten Fachkräftemangel. Dieser wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren zusätzlich verschärfen. Die Handelskammer ist der Meinung, dass die fehlenden Fachkräfte nicht nur im Ausland gesucht werden müssen, sondern vor allem in der Schweiz vorhandenes Potential stärker genutzt werden muss. Die Individualbesteuerung würde dank den damit einhergehenden steuerlichen Anreizen (Minderbelastung des Zweiteinkommens bei Ehepaaren und Abschaffung der privilegierten Ehegattenbesteuerung) dieses inländische Fachkräftepotenzial verstärkt auf den Arbeitsmarkt bringen, was für die Wirtschaft von grosser Wichtigkeit ist und von der Handelskammer entsprechend unterstützt wird.

2.2. Stärkung der Gleichstellung

Die Handelskammer stellt fest, dass im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, in der Schweiz das traditionelle Familienbild sehr stark gesellschaftlich verankert ist. Wirtschaftlich bedeutet dies, dass viele gut ausgebildete Fachkräfte, sobald eine Familie vorhanden ist, keiner oder nur einer niedrigprozentigen Arbeit nachgehen. Dies hat finanzielle Abhängigkeiten der zuhause bleibenden Person zur Folge und fördert staatlich das traditionelle Versorgermodell. Da heute in der Schweiz die Versorgerrolle nach wie vor überwiegend vom Ehemann übernommen wird, werden Frauen in der Gesellschaft immer noch tendenziell als Mütter und Hausfrauen und weniger als Geschäftsfrauen wahrgenommen. Das traditionelle Familienmodell führt demzufolge dazu, dass Frauen wirtschaftlich gesehen im Schatten der Männer bleiben, was die Gleichstellung verhindert oder zumindest stark verlangsamt. Immer wieder stellt die Wirtschaft fest, dass Frauen fehlen, um wichtige wirtschaftlich Positionen zu besetzen, was sehr bedauerlich ist.

Die Handelskammer setzt sich für die Gleichstellung aller Geschlechter ein, weil sie überzeugt ist, dass geschlechterdurchmischte Gruppen bessere Arbeit leisten, indem unterschiedliche Denkweisen und Arbeitsformen aufeinandertreffen und sich bereichern. Zudem bringt eine Stärkung der Gleichstellung beide Geschlechter vermehrt auf den Arbeitsmarkt, so dass von Seiten der Wirtschaft auf mehr Fachkräfte zurückgegriffen werden kann (vgl. auch 2.1).

Die Individualbesteuerung behandelt Ehepaare nicht mehr als Wirtschaftsgemeinschaft und fördert damit im Vergleich zum heutigen Modell Zweiverdienerehepaare. Einverdienerehepaare werden hingegen mehrbelastet. Dies darf jedoch nicht als Bestrafung angesehen werden, sondern ist eine Korrektur, die Eineinkommenehepaare mit Konkubinatspaaren gleichstellt. Die Individualbesteuerung stellt damit eine Abschaffung von Privilegien für das traditionelle Versorgermodell dar. Die Handelskammer befürwortet dies aus obgenannten Gründen.

2.3. Varianten

Die beiden vom Bundesrat vorgeschlagenen Varianten stellen zwei grundsätzlich entgegengesetzte gesellschaftspolitische Lager gegenüber. Die Handelskammer bedauert dieses Vorgehen, weil damit bereits von Beginn weg die vollständig zivilstandneutrale Individualbesteuerung gemäss Variante 1 mit einer alternativen Kompromissmöglichkeit in Frage gestellt wird. Dies erschwert den politischen Erfolg von Variante 1.

Die Handelskammer unterstützt Variante 1, weil nur diese eine steuerliche Gleichstellung von Ehe- und Konkubinatspaaren erreicht. Dies ist das eigentliche Ziel der Individualbesteuerung und sollte nicht aufgegeben werden. In der Variante 2 wird dieses Ziel verwässert, indem eine Korrektur (Einkommensdifferenzabzug) eingeführt wird, die zivilstandabhängig nur Ehepaaren gewährt wird. Solch ein Vorgehen wäre aus Sicht der Handelskammer inkonsequent.

Der in Variante 2 vorgeschlagene Einkommensdifferenzabzug führt erneut ein Privileg für Eineinkommensehepaare ein und fördert damit das traditionelle Familienmodell. Damit wird bei verheirateten Paaren den durch die Individualbesteuerung erreichten Anreiz auf einen Zweitverdienst wieder genommen, so dass Zweitverdiener dem Arbeitsmarkt wiederum fernbleiben. Sowohl das Fernbleiben vom Arbeitsmarkt, wie auch das im System festgehaltene steuerliche Privileg zementieren das traditionelle Familienmodell und verhindern bzw. verlangsamen die Gleichstellung. Die Handelskammer ist überzeugt, dass dies die Schweiz langfristig gut ausgebildete Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt kosten wird. Die Handelskammer setzt sich deshalb für eine konsequente Ausgestaltung der Individualbesteuerung ein und unterstützt die Variante 1.

Die Variante 2 ist ausserdem auch aus folgenden Gründen nicht erstrebenswert:

Die Einbusse für den Einkommensdifferenzabzug wird auf CHF 650 Millionen geschätzt. Bei der Tarifanpassung müssen diese Mindereinnahmen mit einer generellen Erhöhung des Steuertarifs kompensiert werden. Die Privilegierung des traditionellen Familienmodells wird somit von allen anderen Steuerzahlern bezahlt. Eine Steuererhöhung ist angesichts der bereits heute sehr starken Progression bei der Direkten Bundessteuer nicht angebracht.

Der Einkommensdifferenzabzug ist zudem an die Höhe des Zweiteinkommens gekoppelt und stellt eine Abhängigkeit der beiden Steuererklärungen der Ehegatten dar. Diese Abhängigkeit macht bei der Veranlagung zwingend eine Verknüpfung notwendig, was für die Steuerverwaltungen einen Zusatzaufwand bedeutet.

2.4. Mindereinnahmen Bund und Tarifanpassung

Es sind Berechnungen mit verschieden hohen Mindereinnahmen vorgenommen worden (0.5 Mrd., 0.75 Mrd., 1 Mrd., 1.5 Mrd.). Der Bundesrat hat sich dazu entschieden, einen mittleren Wert von CHF 1 Milliarde Mindereinnahmen anzustreben. Der Tarif soll hierfür zuerst so gesenkt und erhöht werden, dass die Belastung sowohl für die niedrigen und mittleren Einkommen (Senkung) als auch für die höheren Einkommen (Erhöhung) ungefähr gleich ausfällt wie heute. Anschliessend soll der gesamte Tarif so angepasst werden, dass die Mindereinnahmen von CHF 1 Mrd. erreicht werden. Bei der Variante 1 kann der Tarif entsprechend gesenkt werden. Bei der Variante 2 muss eine Erhöhung des Tarifs vorgenommen werden, weil die aus dem Einkommensdifferenzabzug resultierenden Mindereinnahmen in der Höhe von CHF 650 Mio. kompensiert werden müssen.

Die Handelskammer begrüsst die Steuerreduktion im Umfang von CHF 1 Mrd. Diese Mindereinnahmen bedeuten für die Bevölkerung eine steuerliche Entlastung von CHF 1 Mrd., die sich volkswirtschaftlich positiv auswirken wird. Das Vorgehen, den Tarif so anzupassen, dass die Entlastung bestmöglich über alle Steuerzahlenden verteilt wird und dass der Bund durch die vorher festgelegten Mindereinnahmen die Auswirkung einschätzen kann, ist für die Handelskammer überzeugend.
Wie bereits unter 2.3 erwähnt, ist eine Korrektur, wie sie in Variante 2 vorgesehen ist, inkonsequent. Die Handelskammer ist der Meinung, dass die Mindereinnahmen allen Steuerzahlenden gleichmässig zugutekommen und nicht eine spezifische Familienkonstellation von allen anderen querfinanziert werden sollte. Die Tariferhöhung, die in Variante 2 notwendig wäre, wird deshalb von uns abgelehnt.

2.5. Praktische Umsetzung

Die Handelskammer setzt sich für ein einfaches, unbürokratisches Steuersystem ein. Deshalb wird es sehr begrüsst, dass in der Vorlage angedacht wird, die bisherige Praxis mehrheitlich zu übernehmen. Die Zuteilung der Einkommens- und Vermögenswerte soll gemäss den zivilrechtlichen Verhältnissen oder anderen gesetzlichen Anspruchsberechtigungen vorgenommen werden. Hierbei soll die bisher bei Konkubinatspaaren angewendete Praxis übernommen werden. Weiter werden ausser dem neu gestalteten Haushaltsabzug und der Erhöhung des Kinderabzugs, alle Abzüge gleich beibehalten. Diese einfache und pragmatische Lösung entkräftet Umsetzungsängste von politischen Gegnern und wird von der Handelskammer sehr begrüsst.

Der Anstieg der Anzahl zu veranlagender Steuererklärungen wird auf ca. 1.7 Mio. geschätzt. Diese hohe Mehrbelastung für die Steuerverwaltungen ist nicht ideal, doch gemäss der Schweizerischen Steuerkonferenz realisierbar. Schon heute wird die digitale Steuererklärung stark vorangetrieben und die Veranlagung immer mehr automatisiert. Die Handelskammer ist der Meinung, dass die Einführung der Individualbesteuerung den Prozess hin zu Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse in den Steuerverwaltungen stark beschleunigen wird, was sogar als positiver Effekt betrachtet werden kann.

Die Variante 2 führt bei der Veranlagung, aufgrund der notwendigen Verknüpfung der Steuererklärungen beider Ehegatten, zu einer Verkomplizierung für die Steuerverwaltungen. Die Variante 2 wird deshalb auch aus praktischen Gründen von der Handelskammer nicht unterstützt.

2.6. Kantonale und kommunale Umsetzung

Die Einführung der Individualbesteuerung auf allen Staatsebenen ist aus Sicht der Handelskammer zwingend notwendig. Die Harmonisierung des Steuersystems ist nicht neu, sondern müsste bei der Einführung der Individualbesteuerung lediglich angepasst werden. Wie bisher bleiben die Umsetzung, die Tarifansetzung und die Gestaltung der Abzüge Sache der Kantone. Dieses Vorgehen erachtet die Handelskammer als richtig. Die Harmonisierung verhindert ein steuerrechtliches Chaos, ohne den Steuerwettbewerb der Kantone zu unterbinden. Der Steuerwettbewerb ist aus Sicht der Handelskammer wichtig, damit die Kantone nicht dazu verleitet werden, auf Vorrat hohe Steuern zu erheben, statt die Ausgaben im Auge zu behalten.

3. Zusammenfassung

Die Handelskammer ist der Überzeugung, dass die Individualbesteuerung in Form der Variante 1 ein grosser Gewinn für die Schweizer Gesellschaft und Wirtschaft wäre. Dies aus folgenden Gründen:

  • Bekämpfung des Fachkräftemangels: Sowohl die Heiratsstrafe als auch die Ehepaarprivilegien werden abgeschafft, was im Vergleich zu heute Zweiverdienerehepaare fördert und somit gut ausgebildete Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt bringt. Diese sind aufgrund des akuten Fachkräftemangels für die Wirtschaft von grosser Wichtigkeit.
  • Stärkung der Gleichstellung: Das traditionelle Familienmodell wird nicht mehr steuerlich privilegiert, was die Gleichstellung stärkt und langfristig vermehrt gut ausgebildete Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt bringen wird.
  • Kalkulierbare Mindereinnahmen: Die Mindereinnahmen werden durch die Anpassung des Tarifs vorher festgelegt, was Überraschungen in der Haushaltskasse des Bundes verhindert.
  • Steuerreduktion: Die Mindereinnahmen entlasten direkt die Steuerzahlenden, was volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die Entlastung wird bestmöglich über alle Steuerzahlenden verteilt.
  • Einfaches Steuersystem: Die praktische Umsetzung wurde pragmatisch durch die Anwendung der bisherigen Praxis ausgestaltet und erschwert somit weder den Steuerzahlenden das Ausfüllen der Steuererklärung noch den Steuerverwaltungen die Veranlagung derselben.
  • Anreiz zur Digitalisierung und Automatisierung des Steuersystems: Die Mehrbelastung der Steuerverwaltungen durch die zusätzlich zu veranlagenden Steuerdossiers bringt einen starken Anreiz zur schnellen Einführung von digitalen und automatisierten Systemen.
  • Föderalistischer Steuerwettbewerb: Die Einführung der Individualbesteuerung wird auf allen Staatsebenen harmonisiert. Die Umsetzung und Festlegung von Tarifen und Abzügen wird den Kantonen überlassen. Das heutige System wird damit beibehalten.
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