Schweizer Wirtschaft im globalen Handel

16.08.2023

Staatssekretärin Helene Budliger Artieda und Elisabeth Schneider-Schneiter über die Bedeutung von Freihandelsabkommen für die Schweizer Wirtschaft, warum es rasch stabile bilaterale Beziehungen zur EU braucht und wie der globale Handel zu einer nachhaltigeren Entwicklung auf der Welt beitragen kann.

Wir erleben das Aufkommen des Protektionismus. Um unabhängiger zu werden, unterstützen die USA, die EU, China und andere Länder ihre Industrien mit riesigen Geldsummen. Braucht es nun auch Subventionen in der Schweiz?

Helene Budliger Artieda: Davon rate ich klar ab. Führende oder aufstrebende Wirtschaftsmächte haben diesbezüglich ganz andere Voraussetzungen und Beweggründe als die Schweiz, wie beispielsweise geopolitische Ansprüche. Ich stehe dem weltweit zunehmenden Protektionismus sehr skeptisch gegenüber. Für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz ist dies keine gute Entwicklung. Die Schweiz sollte bei diesem Subventionswettlauf nicht mitmachen, sie muss vielmehr für offene Märkte einstehen und ihre Stärken ausbauen – etwa die bereits guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für alle Unternehmen weiter optimieren, anstatt einigen wenigen Unternehmen in gewissen Branchen Subventionen zu gewähren. Dies ist für unser Land die erfolgreichere, gerechtere und für die Steuerzahlenden auch die günstigere Strategie.

Die EU ist unsere wichtigste Handelspartnerin? Trotzdem hört man im Wahlkampf kaum etwas von der Europapolitik. Warum tun sich die politischen Parteien mit dem Thema Europapolitik so schwer?

Elisabeth Schneider-Schneiter: Ich halte das für einen grossen Fehler. Die Beziehungen zur EU sind das wichtigste aussenwirtschaftliche Dossier. Die EU macht 60 Prozent unseres Aussenhandels aus. Ein Abkommen mit der EU zur langfristigen Sicherung der Bilateralen Beziehungen wäre eine grosse Chance für die Schweiz. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch als Zeichen, dass wir zu Europa gehören. Gerade jetzt, in Zeiten von Krieg und geopolitischen Spannungen, wäre dieser Schritt enorm wichtig. Als Handelskammer lassen wir nicht locker. Im September organisieren wir einen runden Tisch mit den führenden politischen Vertreterinnen und Vertreter des Dreilands, um für eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU zu werben.

Das Vereinigte Königreich ist soeben der regionalen Freihandelszone CPTPP* mit über zehn Mitgliedsländern beigetreten. Warum tritt die Schweiz nicht auch bei?

Budliger Artieda: Ein Beitritt zum CPTPP wäre für die Schweiz grundsätzlich attraktiv, da das Abkommen gemeinsame Regeln mit einer grossen Zahl wichtiger Partner schaffen und Diskriminierungen für Schweizer Unternehmen beim Zugang zu einigen dieser Märkte beseitigen würde. Wir haben die Auswirkungen des CPTPP für die Schweiz deshalb sorgfältig analysiert. Diese Analyse hat eben auch gezeigt, dass das Abkommen eine Reihe von Bestimmungen enthält, die für die Schweiz nur schwer zu erfüllen wären – wobei die höchste Hürde das sehr hohe Ambitionsniveau des CPTPP bei der Liberalisierung des Handels mit Agrargütern darstellt. Angesichts dieser Ausgangslage versucht der Bundesrat prioritär, die bilateralen Verhandlungen zu Freihandelsabkommen mit CPTPP-Parteien abzuschliessen beziehungsweise die bestehenden Freihandelsabkommen weiterzuentwickeln, momentan mit den CPTPP-Parteien Malaysia und Vietnam. Selbstverständlich bleiben wir mit den verschiedenen CPTPP-Parteien in stetem Kontakt und prüfen regelmässig, ob sich ein politisch günstiges Fenster für intensivere Gespräche öffnen könnte.

Schneider-Schneiter: Ich habe bereits vor drei Jahren mit einer Interpellation an den Bundesrat angeregt, einen Beitritt zum CPTPP zu prüfen. Jetzt ist das UK beigetreten. Ich glaube wir verpassen hier eine grosse Chance. Der Trend geht in Richtung regionale Freihandelszonen und je länger wir warten, desto schwieriger wird ein Beitritt.

Helene Budliger Artieda Staatsekretärin Helene Budliger Artieda ist seit 1. August 2022 Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO.

Sehen Sie denn keine innenpolitischen Akzeptanzprobleme im Parlament und an der Urne wegen dem hohen Amibitionsniveau bei der Landwirtschaft?

Schneider-Schneiter: Wir erleben dies bereits heute bei neuen Freihandelsabkommen. Zum Beispiel bei der Abstimmung zum Freihandelsabkommen mit Indonesien. Einen Beitritt zum CPTPP ist sicher nicht ganz einfach. Ich bin aber überzeugt, dass regionale Abkommen, wie das CPTPP, die Zukunft des Freihandels bestimmen werden und die Schweiz nicht darum herumkommen wird, einen Beitritt zu prüfen.

Das Freihandelsabkommen mit Indonesien ist an einer Volksabstimmung nur knapp angenommen worden. Haben Freihandelsabkommen in der Schweiz in Zukunft überhaupt noch eine Chance?

Budliger Artieda: Solche Abkommen sind nach wie vor ein wichtiges Instrument der Aussenwirtschaftspolitik unseres Landes. Und dies gilt nicht nur für die Schweiz: In einer Zeit, in der die Zukunft des Multilateralismus sehr unsicher ist, bauen viele wichtige Akteure ihr Netz von Freihandelsabkommen weiter aus. Wir müssen mit ihnen mithalten, wenn wir für unsere Unternehmen auf ausländischen Märkten gleiche Bedingungen gewährleisten wollen. Gleichzeitig müssen wir die legitimen Erwartungen der Öffentlichkeit bezüglich einer nachhaltigen Entwicklung erfüllen. Ich setze mich für einen offenen, regulierten Handel ein. Damit Freihandelsabkommen weiterhin die nötige Unterstützung finden, liegt es an uns, zu zeigen, dass sie nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern ebenfalls im Umweltschutz und bei Arbeitsstandards einen Mehrwert bieten. Die jüngsten Freihandelsabkommen der Schweiz sind nach diesem Modell aufgebaut. Ich halte es zudem für wichtig, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände hinstehen und der Stimmbevölkerung erklären, wie wichtig solche Abkommen für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze in der Schweiz sind.

Schneider-Schneiter: Es ist wichtig, dass wir das Thema Nachhaltigkeit ernst nehmen und in die Freihandelsabkommen einbauen, so wie wir das mit Indonesien gemacht haben. Gleichzeitig müssen wir noch besser erklären, dass Handel und Sozial- und Umweltaspekte keine Gegensätze sind. Um in Ländern wie Brasilien die Menschen vom Abholzen des Regenwalds abzubringen, braucht es Arbeitsplätze. Die Erfahrung zeigt, dass Freihandel Jobs schafft, die Produktivität steigert und damit auch das Bestreben nach Nachhaltigkeit zunimmt.

Elisabeth Schneider-Schneiter Elisabeth Schneider-Schneiter ist Nationalrätin (Die Mitte), Mitglied der Aussenpolitischen Kommission im Nationalrat und Präsidentin Handelskammer beider Basel.

Der globale Handel hat stark geholfen, die weltweite Armut zu reduzieren. Welche Rolle spielen die Schweiz und ihre Unternehmen dabei?

Budliger Artieda: Grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen führen natürlich nicht nur in der Schweiz zu höherem Wohlstand, sondern auch im Ausland. Oder anders ausgedrückt: Offene Volkswirtschaften verzeichnen in der Regel ein höheres Wirtschaftswachstum als binnenmarktorientierte. Hier setzt das SECO mit der Handelsförderung im Rahmen der Wirtschaftlichen Entwicklung und Zusammenarbeit an. Das SECO unterstützt gezielt Projekte in Partnerländern, um deren Integration in globale Wertschöpfungsketten zu erleichtern. Damit fördert das SECO die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Reduktion von Armut in diesen Ländern. Dies ist auch im Interesse der Schweiz, denn mehr Wohlstand in der Welt bedeutet auch mehr Wohlstand in der Exportnation Schweiz. Schliesslich gewinnen Schweizer Exporteure den Wettbewerb meistens über Qualität und Innovation und nicht über Preis. Wir sind deshalb darauf angewiesen, dass es den Bevölkerungen in unseren Ausfuhrmärkten wirtschaftlich gut geht. Die Arbeit des SECO geht dabei Hand in Hand mit den Aktivitäten des Privatsektors. Handel und Investitionen der wettbewerbsfähigen Schweizer Firmen im Ausland schaffen Wertschöpfung und Jobs. Damit leisten sie ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung vor Ort und zur globalen Armutsbekämpfung.

SAVE THE DATE
Werkstatt Basel «Schweizer Aussenwirtschaft in stürmischen Zeiten»

Donnerstag, 14. September 2023
18:00 Uhr

Die global ausgerichtete Schweizer Wirtschaft ist auf offene Märkte und die internationale Zusammenarbeit angewiesen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Schweiz mit diesen Herausforderungen umgehen soll und welche Spielräume wir in der Aussenwirtschaftspolitik nutzen können. An unserer Publikumsveranstaltung mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise Staatssekretärin Helene Budliger Artieda, sollen diese Fragen diskutiert und Handlungsempfehlungen erarbeitet werden.

Zur Anmeldung

*CPTPP steht für Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership. Es ist ein Handelsabkommen zwischen elf Ländern im Pazifikraum, das Handelshemmnisse reduziert und die wirtschaftliche Zusammenarbeit fördert. Es trat am 30. Dezember 2018 in Kraft. 2023 ist auch das Vereinigte Königreich dem CPTPP beigetreten.

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