«Es hat mich schon immer interessiert, wie Menschen miteinander umgehen.»

30.11.2022

Die Interaktionen zwischen Präsidium, Mitgliedern des Verwaltungsrats und der oder dem CEO sind entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens. Thomas Sieber geht in seinem Buch der Frage nach, was Verwaltungsratsmitglieder brauchen, um ein Team zu bilden ‒ so einzigartig ihre Konstellation auch sein mag.

Herr Sieber, was hat Sie motiviert, das Buch zu schreiben?

Es hat mich schon immer interessiert, wie Menschen miteinander umgehen. Ich bin überzeugt, dass wir dem Faktor «Mensch» in Verwaltungsratsgremien und im Topmanagement zu wenig Beachtung schenken. Nehmen wir Onboarding-Programme. Diese sehen oft viele Stunden vor, die einem neuen Mitglied die Branche und die Firma näherbringen. Natürlich ist das wichtig. Wie das Gremium jedoch funktioniert und was die gegenseitigen Erwartungen sind – darüber wird selten offen gesprochen.

Können Sie das konkretisieren?

Nehmen wir als Beispiel die Frage, ob kritische Debatten erwünscht sind. Meine quantitative Arbeit hat bestätigt, dass es ein wiederholtes explizites Auffordern zu einem «Speak-up» braucht. Wenn ich Verwaltungsratspräsidierende (VRP) gefragt habe, ob sie diese Erwartungshaltung explizit kommunizieren, wurde es oft still und dann kam die Antwort: «Ich denke, dass meine Boardmitglieder wissen, dass ich das möchte.»

Und wissen sie das?

Vielleicht. Es braucht deutlich mehr Ressourcen und Fähigkeiten, ein Gremium zu führen, das schwierige Themen adressiert und trotzdem in vernünftiger Zeit zu einem befriedigenden Ende einer Debatte kommen will. Deshalb wird in der Theorie ein «Speak-up»-Verhalten unterstützt, ob es in der Praxis auch tatsächlich gewollt ist und ob die Mitglieder diesen Wunsch auch so wahrnehmen, ist etwas ganz anderes. Vom VRP braucht es eine hohe Reflektionsfähigkeit, einen starken Willen und ein gutes Selbstwertgefühl, um ein «Speak-up»-Verhalten zu fördern.

Wie kann man dies anpacken?

Kurze Reflektionssitzungen am Schluss einer VR-Sitzung können eine grosse Unterstützung sein. Solche Sessions müssen nicht lange dauern, aber sie sind so ziemlich das Gegenteil von dem, was Managers gerne machen, da sie eben nicht handlungs- und lösungsorientiert sind.

Thomas Sieber mit Buch Dr. Thomas Sieber ist überzeugt davon, dass dem Faktor «Mensch» in Verwaltungsratsgremien und im Topmanagement zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Was sagen Sie zum Verhältnis Verwaltungsratspräsidium und CEO?

In den Interviews habe ich von VRPs öfter gehört: «Ich überlege mir sehr gut, wie ich mich gegenüber dem CEO verhalte. Ich hoffe, dass der CEO dies schätzt und sich entsprechend verhält. Wenn nicht, dann muss der CEO gehen.» Das ist eine ziemlich fatalistische Haltung. Was fehlt, ist die aktive Auseinandersetzung im Dialog mit der anderen Person. Das Motto ist: Wenn die Beziehung okay ist, muss ich nicht darüber sprechen. Wenn Störgefühle auftauchen, werden diese wegrationalisiert. Der Erfolg ist ja da, was rege ich mich über Kleinigkeiten auf. Und irgendwann wurde der Moment verpasst und der emotionale Bruch ist da.

Was raten Sie denn den beiden?

Sich Zeit dafür zu nehmen, über Bedürfnisse und Anliegen in dieser für das Unternehmen zentralen Beziehung zu sprechen. Fragen Sie, was der anderen Person wichtig ist und legen Sie dar, was Ihnen wichtig ist. Tun Sie das, bevor Sie ein konkretes Problem haben, dann ist es viel einfacher. Teilen Sie Ihre Reflektionen, so entsteht gemeinsames Lernen und meist eine belastbare Beziehung.

Für wen ist das Buch geschrieben?

(mit einem Schmunzeln) Mein Vater, der bald 90 Jahre alt wird, sagte, dass das Buch Pflichtlektüre für jeden VR sein sollte. Das war ein schönes Kompliment. Im engeren Sinn sicher für alle, die mit Verwaltungsgremien zu tun haben, im weiteren Sinne für alle, die bereit sind, darüber zu reflektieren, wie man «beruflich» belastbare Beziehungen aufbaut. Unser Sohn möchte es im Englisch als Maturawerk nehmen. Sie sehen, die Altersspannweite ist ziemlich gross.

Das Buch «Navigating the human side of boardroom interactions ‒ Improving relationships at the top» von Dr. Thomas Sieber fokussiert auf einen wichtigen Erfolgstreiber, das menschliche Verhalten – und dies im Umfeld von Verwaltungsratsgremien und Topmanagement, wo vermeintlich harte Fakten dominieren. Sieber zeigt auf, wie man ein erfolgreiches Verwaltungsratsteam bildet. Der Autor berücksichtigt dabei die neusten Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet, persönliche Erfahrungen und Interviews mit über 60 Chairs und CEOs in über 20 Ländern.

«Dieses Buch ist ein wertvoller Leitfaden für die Bewältigung der vielen menschlichen Herausforderungen, denen sich Verwaltungsratsgremien und Geschäftsleitungen gegenübersehen – es ist von jemandem geschrieben, der das Thema aus Theorie und Praxis kennt.» Marco Gadola, Verwaltungsratspräsident DKHS, WS Audiology und Medartis.

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