Page 6 - Grundsatzpapier-Aussenwirtschaft
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AUSGANGS Verschiebungen im Welthandelssystem
LAGE In Zeiten, in denen das weltweite Handelssystem ins
Wanken gerät und der Handelsprotektionismus vieler-
orts zunimmt, ist die Schweizer Aussenwirtschafts-
politik besonders gefordert. Der Internationale Wäh-
rungsfonds und die Weltbank, aber auch die Welthan-
delsorganisation (WTO) wurden in der Nachkriegszeit
unter Federführung der USA als dominierender Super-
macht aufgebaut und über Jahrzehnte massgeblich ge-
fördert. Mit dem Rückzug der USA auf nationale Kern-
interessen und dem Wegfall ihrer internationalen
Hohe Bedeutung des Aussenhandels Führungsrolle als Hüterin des Welthandels drohen die Die Schweiz muss sich auf diese geopolitischen Verän-
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für die Schweiz Regeln des internationalen Handelssystems zu erodie- derungen einstellen, ohne dabei den Erhalt und den
Die Schweizer Wirtschaft ist global ausgerichtet und Unser Erfolg im Export bedeutet gleichzeitig, dass wir ren. Seit ein paar Jahren beobachten wir wachsende Ausbau der multilateralen Handelsordnung aus den
stark in internationale Wertschöpfungsketten verwo- stark auf offene Märkte sowie den weltweiten Schutz wirtschaftspolitische und geopolitische Spannungen Augen zu verlieren. Bilaterale Handelsabkommen ge-
ben. Dank unserer Spitzenforschung, einem hohen des geistigen Eigentums und unserer Investitionen im zwischen den USA und der aufstrebenden Weltmacht winnen deshalb als Ergänzung zur multilateralen Han-
Bil dungsstand und vergleichsweise wirtschaftsfreund- Ausland angewiesen sind. Die kleine unabhängige China. Diese Spannungen werden uns wohl noch über delspolitik weiter an Bedeutung.
li chen Rahmenbedingungen produzieren Schweizer Schweiz kann aussenpolitisch nur begrenzt Einfluss lange Zeit begleiten.
Unternehmen sehr innovative Produkte und Dienst- nehmen. Wir sind deshalb wie kein anderer Staat auf Die Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz wird auch
leistungen, die weltweit nachgefragt werden. klare internationale Regeln angewiesen. durch die Innenpolitik herausgefordert. Der Erfolg der
internationalen Vernetzung muss laufend gegen pro-
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung ist die Beziehungen zu Europa bleibt zentrale tektionistische und globalisierungskritische Kräfte ver-
Schweiz «Globalisierungsweltmeisterin»: Kein anderes Herausforderung teidigt werden.
Land hat zwischen 1990 bis 2016 grössere globa li sie- Aufgrund unserer Geschichte und unseres politischen
rungsbedingte Erhöhungen des Pro-Kopf-Einkommens Systems sind wir trotz der geografischen Lage mitten
erzielt. Dieser Wohlstandsgewinn aus der Globalisie- in Europa nicht Mitglied der Europäischen Union (EU).
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rung ist in der Schweiz dank einem sehr guten Bil- Dies ermöglicht der Schweiz ein hohes Mass an aussen-
dungs- und Sozialsystems breit verteilt. Eine Studie politischer Flexibilität und Eigenständigkeit, bringt
der Uni versität St. Gallen kommt zum Schluss, dass aber auch eine grössere Unsicherheit bei unseren Be-
wir im internationalen Vergleich überdurchschnittlich ziehungen zu Europa mit sich, unserem wichtigsten
an den Gewinnen aus dem internationalen Handel Handelspartner.
teilhaben. Im Gegensatz zu anderen Industrieländern
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ist der Mittelstand in der Schweiz zudem in den letz- Die Schweiz hat in den Beziehungen zu Europa als
ten Jahren in der Einkommensentwicklung von den Kompromiss und in enger Zusammenarbeit mit
Spitzenverdienern nicht abgehängt worden. Auch dies der EU den bilateralen Weg entwickelt. Er verbindet
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hauptsächlich dank eines sehr durchlässigen Bildungs- eine punktuelle Anbindung an die EU mit maximaler
systems. Selbst bestimmung. Das Spannungsverhältnis zwischen
Selbstständigkeit und europäischer Integration wird
auch in Zukunft bestehen bleiben, da ein EU-Beitritt
der Schweiz nicht zu erwarten ist.
¹ Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Johann Weiss, Dr. Andreas Sachs,
Heidrun Weinelt (2018): Globalisierungsreport 2018.
² Patrick Chuard and Veronica Grassi (2020): Switzer-Land of Oppor-
tunity: Intergenerational Income Mobility in the Land of Vocational
Education. July 2020, Discussion Paper no. 2020 –11.
³ Daniel Kalt: «Globalisierung trifft Mittelstand relativ hart – ausser
in der Schweiz». Die Volkswirtschaft. 23.5.2017.
Ausgangslage