SDG 8

Bilaterale im Fokus

30.04.2024

Warum die Schweiz und die EU für erfolgreichen Handel konstruktiv verhandeln müssen? Das erläutern Handelskammer-Präsidentin Elisabeth Schneider-Schneiter und Dr. Thomas Hafen, Präsident unserer Aussenwirtschaftskommission, im Gespräch.

Elisabeth Schneider-Schneiter: Um auch zukünftig als starkes und offenes Land an der europäischen Vernetzung teilzunehmen, ist es zentral für die Schweiz, dass wir den bilateralen Weg fortsetzen. Wir stehen mitten in den Verhandlungen über die Bilateralen III. Nach unzähligen Jahren des Ringens liegt eine Lösung in Griffweite. Was bedeutet das für exportierende Unternehmen wie deines?

Thomas Hafen: Von innovativen KMU bis international tätigen Konzernen: Der hindernisfreie Zugang zum europäischen Markt und zu unserer wichtigsten Handelspartnerin EU sichert den Erfolg für exportorientierte Unternehmen. Bühlmann verkauft über die Hälfte der Eigenprodukte in den europäischen Binnenmarkt. Weniger als zehn Prozent unserer Produkte bleiben im Land. Die Schweizer Wirtschaft kann vom eigenen Binnenmarkt nicht leben. Wir brauchen offene Märkte, damit wir gut in der Schweiz wirtschaften können.

Schneider-Schneiter: Davon profitiert ganz besonders die Region Basel, die täglich Güter im Wert von rund 150 Millionen Franken in die EU exportiert. Dazu müssen wir Sorge tragen. Die Ausgangslage für eine Lösung mit der EU ist heute viel besser als noch vor ein paar Jahren, als das Rahmenabkommen gescheitert ist. Die Kantone unterstützen die Verhandlungen jetzt sehr konstruktiv. Das ist ein grosser Vorteil. In den Sondierungsgesprächen konnte der Bundesrat wichtige Konzessionen erringen und viele Punkte klären. Trotzdem gibt es aus gewissen Kreisen Widerstand. Wie beurteilst du das?

Hafen: Lohnschutz ist in meinen Augen wichtig, konnte aber im Rahmen der Sondierungen mit der Non-Regression-Klausel und weiteren Massnahmen vom Bund gesichert werden. Weitere Forderungen bringen uns nicht weiter und gefährden den funktionierenden Arbeitsmarkt. Statt Partikularinteressen müssen wir das grosse Ganze im Blick behalten. 

Schneider-Schneiter: Nun gilt es innenpolitisch die Reihen zu schliessen. Mit dem Paketansatz will der Bundesrat die bestehenden Abkommen sichern und wichtige neue in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit abschliessen. Was ist dabei besonders wichtig?

Hafen: Der Paketansatz erlaubt, die Weiterentwicklung der Verträge zu sichern und zugleich den so oft beschworenen «Souveränitätsverlust» einzugrenzen. Meistens handelt es sich sowieso um die Nachführung technischer Normen. Das ist vertretbar, ebenso wie die letztinstanzliche Kompetenz des Europäischen Gerichtshofes bei der Auslegung von europäischem Binnenrecht. Dass wir neue Abkommen brauchen beim Strom oder bei der Lebensmittelsicherheit, zeigt, dass wir mit unseren europäischen Nachbarn zusammenarbeiten müssen und wollen, und dies auch in Bereichen, die nicht durch die bestehen den bilateralen Verträge gedeckt sind.

Schneider-Schneiter: Für unseren Innovationsstandort ist ausserdem essenziell, dass wir Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen haben. Die Schweiz darf nun teilweise wieder mitmachen. Die aktuelle Förderperiode hat aber längst begonnen. Lohnt es sich jetzt noch einzusteigen?

Hafen: Es lohnt sich immer noch und ist sehr wichtig. Zudem müssen wir bedenken, dass uns die EU den Zugang nur mit Vorbehalt gewährt hat. Wenn die Verhandlungen scheitern, sind wir wieder draussen. Für Bühlmann sind Forschungsprojekte mit EU-Ländern zentral. In früheren Jahren konnten wir manchmal bis zu einem Drittel unserer Forschungs- und Entwicklungsausgaben durch EU-Gelder finanzieren. Um weltweit mit der Spitze mithalten zu können, brauchen wir dringend wieder den Zugang zum europäischen Forschungsnetzwerk.

homas Hafen und Elisabeth Schneider-Schneiter Elisabeth Schneider­Schneiter, Nationalrätin, Mitglied Aussenpolitische Kommission und Präsidentin Handelskammer beider Basel, mit Dr. Thomas Hafen, CEO Bühlmann Laboratories AG und Präsident Aussenwirtschaftskommission Handelskammer beider Basel.

Schneider-Schneiter: Der renommierte Konjunkturforscher Jan-Egbert Sturm stellte Anfang Jahr in der «NZZ» fest, dass ohne Zuwanderung die Produktivität der Schweiz zurückgehen würde. Die Personenfreizügigkeit mit der EU ist enorm wichtig für unsere Wirtschaft. Trotzdem steht sie immer wieder in der Kritik. Was sagst du als Unternehmer dazu?

Hafen: Wo man auch hinhört, fast überall fehlen Arbeitskräfte. Die Demografie, aber auch der verbreitete Wunsch nach Teilzeitarbeit sind Treiber dieser Entwicklung. Ohne Personenfreizügigkeit wäre die Situation noch viel gravierender. Auch bei Bühlmann sind wir auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Von unseren gut 130 Mitarbeitenden haben 80 eine ausländische Staatsangehörigkeit. Unternehmen investieren nun auch deshalb vermehrt in Automation. Das machen auch wir so. Allerdings ist das nicht überall möglich, auch bei uns nicht. Und dann leidet über kurz oder lang die Produktivität, oder die Qualität.

Schneider-Schneiter: Wir leben in unsicheren Zeiten mit neuen Kriegen und geopolitischen Spannungen. Wie kann ein gelingender Aussenhandel zu mehr Stabilität beitragen?

Hafen: Die Krisen sind eine grosse Herausforderung für unser Unternehmen. In dieser unsicheren Zeit sind verlässliche Beziehungen zu unserer grössten Handelspartnerin EU zentral. Als Wirtschaftsstandort mitten in Europa müssen wir uns jetzt mehr denn je mit der EU abstimmen.

Schneider-Schneiter: Der bilaterale Weg hat sich als grosser Erfolg erwiesen. Er bietet uns massgeschneiderten Zugang zum EU-Binnenmarkt und überlässt uns grösstmögliche politische Selbstständigkeit. Es gibt schlicht keine sinnvollen Alternativen dazu. Ein EU-Beitritt ist weder wünschbar noch mehrheitsfähig. Auch die Idee, die Bilateralen durch ein Freihandelsabkommen zu ersetzen, ist nicht realistisch. Sie würde uns vor ähnliche Herausforderungen stellen wie die jetzigen Verhandlungen. Wie muss es weitergehen?

Hafen: Ich teile diese Analyse. Wir sind keine Euro-Turbos und wir wollen keinen Beitritt zur EU. Allerdings können wir auch nur den Kopf schütteln, wenn uns Politikvertreter glauben machen wollen, dass wir die Handelsbeziehungen mit unseren Nachbarn einfach mit Exporten nach Übersee ersetzen müssen. Das sind Träumereien. Für die Life Sciences ist zentral, dass die Forschungszusammenarbeit gesichert ist. Bedeutend ist auch ein Stromabkommen, damit eine bezahlbare und nachhaltige Versorgung sichergestellt ist und wir zur Energiewende beitragen können. Wir erwarten, dass die Verhandlungen bis Ende Jahr abgeschlossen sind. Vor allem exportierende und forschende Unternehmen wie das meine brauchen endlich wieder Rechts- und Planungssicherheit.

Das Gespräch ist in der Frühlings-Ausgabe 2024 unseres Magazins twice erscheinen. Die ganze Heft können Sie als PDF-Datei herunterladen.

Cover Magazin twice

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